1. Zur rechtlichen Bewertung eines Alternativvorsatzes, wenn sich dieser auf die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger bezieht. (…) | |
Aktenzeichen & Fundstelle | |
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Az.: BGH 4 StR 95/20 in: BeckRS 2021, 541 juris.bundesgerichtshof.de |
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A. Orientierungs- oder Leitsatz | |
1. Zur rechtlichen Bewertung eines Alternativvorsatzes, wenn sich dieser auf die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger bezieht. (…) | |
B. Sachverhalt | |
C, der in der Gaststätte D ein Lokalverbot von Wirt A ausgesprochen bekommen hatte, betrat einige Monate später alkoholisiert erneut das Lokal. A, dem der C wieder unangenehm auffiel, wollte das Lokalverbot ihm gegenüber durchsetzen. C verließ das Lokal jedoch nicht. Auch nach der Androhung des A, die Polizei zu rufen, folgte C dem A hinter die Theke und begann eine verbale Auseinandersetzung mit der Ehefrau des A und ein Gerangel mit A, da dieser ihn aus dem Thekenbereich bugsieren wollte. C schlug A im Verlauf dieses Gerangels mehrmals auf den Mund und den Rücken. K und ein weiterer Gast gingen dazwischen und versuchten, C zu beruhigen. Als dies nicht gelang, ergriff A voller Wut ein 26 cm langes Messer, ohne dass C dies bemerkte. A stach auf den unbewaffneten C zweimal mit dem Messer ein. C bemerkte die Stichverletzungen nicht. Danach riss K den C aus dem Thekenbereich und C verließ mit einer weiteren Person das Lokal. Als diese bemerkte, dass C blutete, fuhren sie ins Krankenhaus, wo zwei nicht lebensbedrohliche, sich auf das Weichgewebe beschränkende Stichverletzungen von bis zu 5 cm bzw. 7-10 cm Tiefe festgestellt wurden. Handelte A in Notwehr gem. § 32 StGB? |
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C. Anmerkungen | |
Der BGH hat sich in der zugrunde liegenden Entscheidung mit der Frage beschäftigt, wie zusammenhängende Vorsätze rechtlich zu bewerten sind. Dabei hat der BGH das vorinstanzliche Ergebnis des LG Frankenthal bestätigt, welches den A gegenüber B wegen einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) und gegenüber N wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB) verurteilt hatte. Die Tatsache, dass A den Eintritt eines Körperverletzungserfolges nur bei einem der Tatopfer für möglich hielt und nicht bei beiden, stehe der Annahme von zwei bedingten Körperverletzungsvorsätzen nicht entgegen. Wie eine solche Konstellation zu behandeln ist, hatte der BGH bisher noch nicht entschieden. In der Literatur werde zum Teil die Auffassung vertreten, dass nur einer der beiden Vorsätze dem Täter zugerechnet werden könne, weil er es ausgeschlossen habe, mehr als ein Delikt zu vollenden. Die mehrheitliche Ansicht in der Literatur vertrete hingegen, dass eine handlungseinheitliche Verwirklichung zweier Vorsätze vorläge und löst sich hieraus unweigerlich ergebene Wertungsprobleme auf der Konkurrenzebene. Der Senat hat sich der überwiegenden Auffassung angeschlossen, sodass der A mit zwei ihm zurechenbaren bedingten Körperverletzungsvorsätzen handelte. Den bedingten Körperverletzungsvorsatz hat der Senat also bejaht. Der A habe es für möglich gehalten, dass entweder N oder B mit dem Hammer getroffen werden. Gleichwohl habe er den Eintritt eines Körperverletzungserfolgs bei beiden billigend in Kauf genommen. Für die Annahme lediglich eines Vorsatzes besteht nach dem Senat kein Grund. Auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze können miteinander verbunden werden, solange sie nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand haben. Weiterhin hat der BGH festgestellt, dass, wenn sich alternative Vorsätze des Täters auf höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger richten und einer der zu erwartenden Erfolge eintritt, das vollendete und das versuchte Delikt zueinander in Tateinheit stehen (§ 52 StGB), hier in Idealkonkurrenz. Ob in anderen Fallkonstellationen das versuchte Delikt im Wege der Gesetzeseinheit konsumiert werden könnte, ließ der Senat offen. Festzuhalten ist also, dass sich der BGH der mehrheitlichen Literaturauffassung angeschlossen hat, die das Problem des dolus alternativus auf der Konkurrenzebene löst und wonach sich die Vorsätze grundsätzlich nicht gegenseitig ausschließen. | |
D. In der Prüfung | |
A. Strafbarkeit von A gegenüber B nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Grunddelikt, § 223 Abs. 1 StGB b. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB 2. Subjektiver Tatbestand (…) B. Strafbarkeit von A gegenüber N nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB I. Vorprüfung 1. Nichtvollendung 2. Strafbarkeit des Versuchs II. Tatbestand 1. Tatentschluss |
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E. Zur Vertiefung | |
Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 19. Aufl. 2019, § 14 Rn. 33ff. Puppe in: Kundhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 15 Rn. 115f. Siehe auch Puppe, Die Lehre der Tateinheit, JuS 2017, 503. |
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