1. Die Feststellungen zum voluntativen Vorsatzelement müssen die subjektive Einschätzung der Gefährlichkeit der Tathandlung durch den Angeklagten vollständig in den Blick nehmen.
2. Bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr ist für die subjektive Einschätzung der Gefährlichkeit der Tathandlung ein bestehendes Vorstellungsbild des Angeklagten über als möglich erachtetes kollisionsvermeidendes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer als Anknüpfungspunkt für ein vorsatzausschließendes Vertrauen in die einzelfallbezogene Prüfung des voluntativen Vorsatzelements miteinzubeziehen. |
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Aktenzeichen & Fundstelle | |
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Az.: BGH 4 StR 266/20 in: NZV 2021, 316 StV 2021, 487 |
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A. Orientierungs- oder Leitsatz | |
1. Die Feststellungen zum voluntativen Vorsatzelement müssen die subjektive Einschätzung der Gefährlichkeit der Tathandlung durch den Angeklagten vollständig in den Blick nehmen.
2. Bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr ist für die subjektive Einschätzung der Gefährlichkeit der Tathandlung ein bestehendes Vorstellungsbild des Angeklagten über als möglich erachtetes kollisionsvermeidendes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer als Anknüpfungspunkt für ein vorsatzausschließendes Vertrauen in die einzelfallbezogene Prüfung des voluntativen Vorsatzelements miteinzubeziehen. |
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B. Sachverhalt (gekürzt und vereinfacht) | |
Der Angeklagte (A) verabredete sich zu einem Kraftfahrzeugrennen mit dem Mitangeklagten (M). Zu Beginn des Rennens hielt A das Auftauchen anderer Verkehrsteilnehmer für möglich und wusste, dass ein rechtzeitiges Abbremsen unmöglich und ein Ausweichen nur schwer möglich sein würde. A und M fuhren zunächst mit angemessener Geschwindigkeit durch eine gradlinig verlaufende Vorfahrtstraße. Links und rechts befanden sich einmündende Straßen. Circa 226 Meter vor dem Unfallort fuhr der A, wie mit M vereinbart, auf die Gegenfahrspur und beschleunigte maximal. 110 Meter vor der Unfallstelle bemerkte der A die Geschädigte (G). Diese bog von links aus einer Seitenstraße in Fahrtrichtung des A ab, wobei zweifelhaft ist, ob sie an dem sich dort befindlichen Stoppschild gehalten hatte. Der A bremste auf 105 km/h ab, konnte jedoch einen Zusammenstoß mit G nicht verhindern. G erlitt schwere Verletzungen und verstarb im Krankenhaus. Hat A sich wegen Mordes nach § 211 StGB strafbar gemacht? |
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C. Anmerkungen | |
Das LG hat den A wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge gemäß §§ 211, 315d, 52 StGB verurteilt. Zu beantworten ist, ob der für § 211 StGB erforderliche bedingte Tötungsvorsatz vorliegt.
Dies ist der Fall, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handeln erkennt und dies billigt oder sich zum Erreichen seines Zieles zumindest mit dem Tod eines anderen Menschen abfindet. In Abgrenzung liegt die bewusste Fahrlässigkeit vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und er ernsthaft darauf vertraut, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintreten wird. Der Vorsatz erfordert ein Wissens- und ein Willenselement und muss zur Abgrenzung in der Gesamtschau aller subjektiven und objektiven Umstände bewertet werden. Für das voluntative Vorsatzelement werden vor allem die Persönlichkeit und psychische Verfassung des Täters, die Motivlage und bedeutsame Umstände der Tat sowie die konkrete Angriffsweise einbezogen. A hat sich nicht wegen Mordes gemäß § 211 StGB strafbar gemacht. |
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D. In der Prüfung | |
I. Strafbarkeit des A gemäß § 211 StGB 1. Objektiver Tatbestand 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz (…) |
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E. Zur Vertiefung | |
Eschelbach, in: v. Heintschel-Heinegg, Beck’scher Online-Kommentar StGB, 51. Edition 2021, § 212 Rn. 21; Maier, in: Erb/Schäfer, Münchener Kommentar zum StGB, Band 2, 4. Aufl. 2020, § 46 Rn. 557. |
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