1. Glaubt der Täter, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen, liegt ein unbeendeter Versuch vor. 2. Das Erreichen außertatbestandlicher Ziele schließt die Rücktrittsmöglichkeit nicht aus. |
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Az.:BGH 6 StR 431/21
in: BeckRS 2022, 1472 |
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A. Orientierungs- oder Leitsatz | |
1. Glaubt der Täter, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen, liegt ein unbeendeter Versuch vor. 2. Das Erreichen außertatbestandlicher Ziele schließt die Rücktrittsmöglichkeit nicht aus. |
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B. Sachverhalt | |
Die Schülerin A will aus ihren – als äußerst belastend empfundenen – Familienverhältnissen „ausbrechen“. Ihren einzigen Ausweg sieht sie darin, ihren Mitschüler F niederzustechen, um ins Gefängnis zu kommen. Sie will F, dem gegenüber sie weder positive noch negative Gefühle empfindet, durch einen Stich mit einem Haushaltsmesser erheblich verletzen. Dass F dabei sterben könnte, ist ihr bewusst, aber egal. Am Tag vor ihrem 15. Geburtstag sticht sie daher im Unterricht dem vor ihr sitzenden F, den sie zuvor noch gegrüßt hatte, unvermittelt wuchtig in den Rücken. F sackt sofort schwer verletzt zusammen. Zufrieden mit ihrer Tat und in dem festen Glauben, nun ihr Ziel – ins Gefängnis kommen zu können – erreicht zu haben, gibt sie das Messer widerstandslos ihrem Lehrer. Dabei erkennt A, dass zur sicheren Tötung des F weitere Stiche erforderlich wären und sie auch noch die Möglichkeit zu solchen hätte. F überlebt die Tat schwer verletzt. |
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C. Anmerkungen | |
Der BGH bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung seine ständige Rechtsprechung, nach welcher für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch allein auf die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs abzustellen ist. Dass außertatbestandliche Nebenziele erreicht werden, ist für die Abgrenzung ohne Bedeutung. Beendet ist der Versuch, wenn der Täter glaubt, alle zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderlichen Handlungen vorgenommen zu haben. Unbeendet ist er dagegen, wenn der Täter glaubt, dass es zur Verwirklichung des Tatbestandes noch weiterer Handlungen bedürfe und diese noch vorzunehmen ihm auch möglich erscheint. |
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D. In der Prüfung | |
A. Strafbarkeit gem. §§ 211 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB 0. Vorprüfung 1. Nichtvollendung der Tat 2. Strafbarkeit des Versuchs I. Tatbestand 1. Tatentschluss 2. Unmittelbares Ansetzen II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Rücktritt 1. (P) Kein fehlgeschlagener Versuch 2. (P) Beendeter oder unbeendeter Versuch 3. Freiwilligkeit B. Strafbarkeit gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 3, 5 StGB (…) |
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E. Literaturhinweise | |
Fallmäßige Aufbereitung der vorliegenden Entscheidung: Zmrzlak/Holznagel, Anmerkung zu BGH 6 StR 431/21, RÜ 2022, 437 | |
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