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Entscheidung der Woche 05-2022 (ZR)

Eric Scheu

Das mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugte Kind kann gegen den Reproduktionsmediziner einen aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgenden Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders haben.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH XII ZR 201/13

in: BGHZ 204, 54

NJW 2015, 1098

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Das mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugte Kind kann gegen den Reproduktionsmediziner einen aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgenden Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders haben. Die hierfür erforderliche rechtliche Sonderverbindung folgt aus dem Behandlungsvertrag, bei dem es sich um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Kindes handelt.


B. Sachverhalt

Die durch künstliche heterologe Insemination gezeugten und in den Jahren 1997 sowie 2002 geborenen Klägerinnen begehren von der beklagten Trägerin einer Klinik für Reproduktionsmedizin Auskunft über die Identität ihres biologischen Vaters durch Angabe der Personalien der Samenspender. Zugrunde lagen diesen Behandlungen Verträge zwischen der Klinik und der Mutter sowie dem mit ihr verheirateten (rechtlichen) Vater der Klägerinnen. Die Eheleute hatten in einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik auf Auskunft über die Identität der Samenspender verzichtet; die Klinik hatte sich seinerseits gegenüber den Samenspendern zur Anonymität verpflichtet.


C. Anmerkungen

Dieser Fall ist aus mehreren Gründen wie für eine Examensklausur geschaffen. Neben der Herausarbeitung einer möglichen Anspruchsgrundlage ist hier eine Abwägung der Interessen von verschiedenen Parteien sowie die Gewichtung jener Interessen durchzuführen. Wichtig in einer etwaigen Fallbearbeitung ist, dass man nicht den Fehler begeht und sich aus dem Grundgesetz eine Anspruchsgrundlage für diesen zivilrechtlichen Anspruch herleiten möchte. Vielmehr hält das Grundgesetz zwar viele Anhaltspunkte für die spätere Abwägung bereit, bietet aber eben keine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage.

Das BGB und auch andere zivilrechtlich geprägte Normen geben jedoch dem Wortlaut nach auch keinen Anspruch, der auf eine Auskunft jener Art gerichtet ist (zumindest nicht für Kinder unter 16 Jahren, vgl. § 62 PStG). In Betracht kann letztlich also nur § 242 BGB („Treu und Glauben“) kommen.

Das Gericht stellt hier die Voraussetzungen zur Bejahung des Anspruchs wie folgt dar: „[…] wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte, der zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Auskunft angewiesen ist, in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihm dies zumutbar ist.“

In einer Klausur würde freilich nicht vorausgesetzt werden, dass man diese Voraussetzungen kennt. Jedoch sollte man zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerinnen zum einen nur als Dritte einbezogen wurden, da die Eltern Vertragspartner sind (gleichwohl die Kinder aber die Rechte nach den Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter geltend machen können), und es letztlich einer Abwägung der Interessen der Parteien bedarf – und dort auch gerne (oder gar zwingend) das Grundgesetz zur Hilfe genommen werden sollte. Ob man den Anspruch letztlich bejaht oder nicht, ist für das Ergebnis in einer Klausur nicht maßgeblich.

Der BGH hat die Abwägung, insb. mit Verweis auf das APR der Antragssteller, zugunsten der Klägerinnen entschieden.


D. In der Prüfung

I. Anspruch aus § 62 PStG (-), da Kinder unter 16

II. Anspruch aus anderen Normen (-)

III. Anspruch aus § 242 BGB

1. Bestehende Rechtbeziehung (+), Vertrag zw. Klinik und Eltern sodann entweder hier oder im Anschluss gesondert VSD für die Kinder

2. Interesse an der Auskunft durch Anspruchsberechtigten

3. Möglichkeit und Zumutbarkeit der Offenlegung durch Anspruchsgegner

4. Abwägung


E. Zur Vertiefung

Meinking, in HanLR, Entscheidungsbesprechung, erscheinend in Heft 2/2022;

Prof. Dr. Grziwotz, in der LTO, Art. v. 29.01.2015 „Keine Frage des Alter“.

 
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