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Entscheidung der Woche 17-2023 (SR)

Laura Schlunk

Bilden im Rahmen eines mehraktigen Geschehens die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 1 StR 408/21

in: NStZ-RR 2023, 74

 

A. Ortientierungs- und Leitsätze

1. Bilden im Rahmen eines mehraktigen Geschehens die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist ausnahmsweise für die Bestimmung des Rücktrittshorizonts allein die subjektive Sicht des Täters maßgeblich.

2. Hierfür müssen die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass nach der subjektiven Zielsetzung des Täters ein solches einheitliches Geschehen anzunehmen ist.


B. Sachverhalt

Der Angeklagte N hatte auf dem Gelände des Geschädigten K seinen PKW unter Übergabe von Fahrzeugpapieren und Autoschlüssel abgestellt. Nach einem erfolglosen Versuch seinen PKW zurückzufordern, kam es einige Tage später zu einer Auseinandersetzung zwischen N und K. K fügte dem N dabei eine Gehirnerschütterung zu. Dieser fasste daraufhin mit seinen Brüdern H und L den Entschluss den PKW unter gemeinsamer Anwendung von Gewalt wieder zu erlangen. N führte dabei eine Selbstladepistole und H ein Klappmesser mit sich. Beide wussten nichts von der Bewaffnung des jeweils anderen. Als K die Brüder aufforderte sein Gelände zu verlassen, schlug N wie zuvor vereinbart auf K ein. H zog sein Messer und stach diesem drei Mal in den Rücken. Den Tod des K nahm er dabei billigend in Kauf. Es kam zu einem weiteren Handgemenge, wobei H das Messer nicht erneut einsetzte. Aufgrund der starken Gegenwehr des K ging H davon aus, ihn nicht lebensgefährlich verletzt zu haben. Nachdem K es gelungen war den H zu Fall zu bringen, zog N seine Schusswaffe und feuerte vier Schüsse auf K ab. H war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden und verließ fluchtartig das Gelände.

Hat H sich wegen versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten Totschlag nach § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB zu Gunsten des H angenommen. Begründet wurde dies mit dem Absehen von weiteren Messerstichen und den nicht vom Vorsatz umfassten Schüssen des N.

Der BGH hatte diese Entscheidung nicht zu beanstanden. Er führte aus, dass für einen Rücktritt von einem unbeendeten Versuch das Absehen von weiteren Ausführungen der Tat notwendig sei.

Eine Tat umfasse dabei die Erfüllung sämtlicher gesetzlicher Tatbestandsmerkmale. Der Täter müsse sich von der konkreten Tatbegehung distanziert haben und in seiner Handlung nicht lediglich vorübergehend innehalten. Laut BGH sei hier vor allem das subjektive Vorstellungsbild des Täters von Bedeutung. Dabei sei zwischen einem mehraktigen, sowie einem örtlich und zeitlich einheitlichem Geschehen abzugrenzen. Bei einem mehraktigen Geschehen nehme der Täter mehrere Handlungen vor, welche auf die Herbeiführung eines strafrechtlichen Erfolges gerichtet ist. Hier käme es auf das subjektive Vorstellungsbild des Täters nach jeder Einzelhandlung an. Dagegen läge ein einheitliches Geschehen vor, wenn die Einzelakte durch die subjektive Zielsetzung des Täters örtlich und zeitlich verbunden sind. Die subjektive Betrachtungsweise des Täters nach der letzten Handlung sei hier maßgeblich. Der BGH macht weiterhin deutlich, dass die gerichtlichen Feststellungen ein einheitliches Tatgeschehen nach subjektiver Zielsetzung des Täters umfassen müssten.

Mit Bezug auf den vorliegenden Fall bestätigte der BGH, dass hier kein einheitliches Geschehen vorlag. H sah nach den Messerstichen vom einem weiteren Einsatz des Messers ab. Die im Anschluss durchgeführten Tritte seien kein Teil eines einheitlichen Tatgeschehens. H ging aufgrund des Widerstandes durch K davon aus, dass dieser nicht lebensgefährlich verletzt war. Er führte diese somit nicht mit Tötungsvorsatz aus. Die von N abgegebenen Schüsse könnten ihm wegen des fehlenden Vorsatzes nicht über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. H hätte mit der Abstandnahme von weiteren Messerstichen als Einzelakt nach seiner Vorstellung den Tötungsvorsatz aufgegeben. Laut BGH ergebe sich dies aus dem Gesamtzusammenhang des Geschehens. Insgesamt läge damit ein unbeendeter Versuch vor, von dem der H zurückgetreten sei.

H hat sich nicht wegen versuchten Totschlages nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB.


D. In der Prüfung

I. Versuchsstrafbarkeit

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

2. Unmittelbares Ansetzen

III. Rechtswidrigkeit

IV. Schuld

V. Rücktritt

1. Kein Fehlschlag

2. Beendeter o. unbeendeter Versuch (P)

3. Freiwilligkeit


E. Literaturhinweise

Heger in: Lackner/Kühl/Heger, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2023, § 24, Rn. 1-29.

 
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