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Entscheidung der Woche 21-2023 (ÖR)

Jasmin Wulf

Die alleinige und abschließende Gewährung subjektiven Wahlrechtsschutzes durch die Länder bei Wahlen in ihrem Verfassungsraum steht der Statthaftigkeit von Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht gegen landesverfassungsrechtliche Wahlprüfungsentscheidungen...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerfG 2 BvR 2189/22

in: becklink 2027129

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Die alleinige und abschließende Gewährung subjektiven Wahlrechtsschutzes durch die Länder bei Wahlen in ihrem Verfassungsraum steht der Statthaftigkeit von Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht gegen landesverfassungsrechtliche Wahlprüfungsentscheidungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG entgegen.

2. Die Unantastbarkeit landesverfassungsgerichtlicher Wahlprüfungsentscheidungen steht unter dem Vorbehalt der Beachtung des Homogenitätsgebots gemäß Art. 29 Abs. 1 GG.


B. Sachverhalt

Am 26. September 2021 wurden in Berlin die Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sowie die Bundestagswahl durchgeführt. Auf gegen das festgestellte Wahlergebnis erhobene Einsprüche wegen zahlreicher Pannen erklärte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit Urteil vom 16. November 2022 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen insgesamt für ungültig. Dies führte zur Notwendigkeit einer Wiederholungswahl im gesamten Wahlgebiet.

Am 15. Dezember 2022 haben die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie die Wiederholungswahl verhindern wollten. In der Hauptsache beantragten sie, festzustellen, dass die angegriffene Entscheidung sie in ihren Grundrechten aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.


C. Anmerkungen

Das BVerfG lehnte den Eilantrag ab, weil die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde nicht statthaft und damit unzulässig ist. Das Grundgesetz gewährleistet Bund und Ländern eigenständige Verfassungsbereiche, die auch das Wahlrecht umfassen. Daher wird bei Wahlen im Verfassungsraum eines Landes der subjektive Wahlrechtsschutz grundsätzlich durch das jeweilige Land allein und abschließend gewährt. Vor diesem Hintergrund ist für eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gegen landesverfassungsgerichtliche Wahlprüfungsentscheidungen regelmäßig kein Raum. Dies gilt auch, wenn mit ihr unmittelbar lediglich die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten jenseits der allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt wird. Denn Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte über Fragen, die allein dem Verfassungsraum der Länder zuzuordnen sind, sind grundsätzlich unantastbar.

Das BVerfG ist nach der föderalen Ordnung des Grundgesetzes keine zweite Instanz über den Landesverfassungsgerichten, die berufen ist, deren Urteile in vollem Umfang nachzuprüfen. Andernfalls wäre die Autonomie der Länder im Bereich des subjektiven Wahlrechtsschutzes gefährdet. Zudem soll aus Gründen der Rechtssicherheit ein endgültiges Wahlergebnis für die ordnungsgemäße Zusammensetzung der Volksvertretung möglichst zügig erreicht werden. Diese Sperrwirkung des eigenständigen Verfassungsraums der Länder steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass ihre verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere die Regelung und Tätigkeit ihrer mit Aufgaben des Wahlrechtsschutzes betrauten Verfassungsgerichtsbarkeit den Homogenitätsanforderungen des Art. 28 Abs. 1 GG genügen. Dies ist im Land Berlin der Fall.


D. In der Prüfung

Einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG

A. Zulässigkeit

I. Statthaftigkeit

II. Antragsberechtigung

III. Keine evidente Unzulässigkeit der Hauptsache

IV. Keine Vorwegnahme der Hauptsache

V. Rechtsschutzbedürfnis

VI. Form und Frist

B. Begründetheit

(P) Unstatthaftigkeit und damit Unzulässigkeit der Hauptsache


E. Literaturhinweise

Glauben, Neue Wege im Wahlprüfungsrecht - die Ungültigerklärung der Berlinwahlen durch den Berliner Verfassungsgerichtshof, NVwZ 2023, 21;

Austermann, Berliner Wahldesaster - Lehren für die Wahlprüfung des Bundes, ZRP 2023, 23;

Walter in: BeckOK BVerfGG, § 32.

 
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