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Entscheidung der Woche 38-2022 (ZR)

Amani Mehdawi

Während der Zeit der Schließung eines Fitnessstudios aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19- Pandemie war es dem Betreiber rechtlich unmöglich, dem Nutzungsberechtigten die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: XII ZR 64/21

in: NJW 2022, 2024

WM 2022, 1091

ZIP 2022, 1277

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Während der Zeit der Schließung eines Fitnessstudios aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19- Pandemie war es dem Betreiber rechtlich unmöglich, dem Nutzungsberechtigten die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Für den Zeitraum der Schließung hat der Nutzungsberechtigte einen Anspruch auf Rückzahlung der entrichteten Monatsbeiträge, sofern der Betreiber von der „Gutscheinlösung“ nach Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB keinen Gebrauch gemacht hat.

2. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.

3. Bei Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die die gesetzlichen Rechtsfolgen der Unmöglichkeit modifiziert und in ihrem Geltungsbereich die Anwendung des § 313 BGB ausschließt.

4. Der Betreiber eines Fitnessstudios hat deshalb gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage dahingehend, dass die vereinbarte Vertragslaufzeit um den Zeitraum einer pandemiebedingten Schließung des Fitnessstudios verlängert wird.


B. Sachverhalt

Der BGH hatte sich in seinem Urteil unter anderem mit der Frage zu beschäftigen, ob im Fall der Schließung eines Fitnessstudios aufgrund hoheitlicher Anordnung ein Fall von § 275 Abs. 1 BGB vorliegt oder es sich nur um eine nicht dem Unmöglichkeitsregime unterfallende vorübergehende Unmöglichkeit handelt. Im Kern ging es um einen Vertrag, der die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio mit zweijähriger Laufzeit zum Gegenstand hatte. Der Kläger zahlte einen monatlichen Betrag von ca. 30,00 EUR zzgl. halbjähriger Servicepauschale. Wegen behördlicher Anordnungen wurde das Studio für über zwei Monate geschlossen. Nach wirksamer Kündigung von Seiten des Klägers, machte dieser einen Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge geltend, die er im Zeitraum der Schließung des Fitnessstudios entrichtet hatte. Dies lehnte die Beklagte zwar ab, bot aber im Gegenzug eine „Gutschrift über Trainingszeit“ an. Dies wiederum wurde vom Kläger abgelehnt. 


C. Anmerkungen

Die Entscheidung eignet sich gut, um einen Fall mit einem  Schwerpunkt im Unmöglichkeitsrecht (§ 275 BGB) zu konzipieren. Das Urteil gibt Gelegenheit, sich näher mit Einzelheiten zur Abgrenzung zur Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB zu beschäftigen. Auch kann die Fallgruppe der sog. vorübergehenden Unmöglichkeit wiederholt werden; insbesondere, wann sie – anders als im Fitnessstudio-Fall – der dauerhaften Unmöglichkeit gleichzustellen ist. 

Interessant ist die Auswirkung der Pandemie in Bezug auf die Ausgestaltung der Rechtsfolge im Hinblick auf die Rückzahlung nach Maßgabe von § 326 Abs. 4 BGB. Grundsätzlich muss der Fitnessstudiobetreiber die erhaltene, aber vom Vertragspartner nicht geschuldete Leistung wieder herausgeben. Dies wäre hier die Zahlung des Mitgliedsbeitrags. Um existenzbedrohende Situationen für Unternehmen und entsprechende Insolvenzen zu verhindern, führte der Gesetzgeber Art. 240 § 5 EGBGB ein. Dieser verschafft für Veranstaltungsverträge und Verträge über die Nutzung von Freizeiteinrichtungen, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden die Möglichkeit, anstatt des zu viel gezahlten Betrags einen Gutschein herauszugeben. Dem Betreiber des Fitnessstudios stand im vorliegenden Fall also eine sog. Ersetzungsbefugnis zu, die die Rechtsfolge aus § 326 Abs. 4 BGB entsprechend modifiziert. Der Gutschein muss die Anforderungen des Art. 240 § 5 Abs. 3 und 4 EGBGB erfüllen.


D. In der Prüfung

A. Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge während der Schließung aus §§ 326 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 275 Abs. 1, 346 ff. BGB

I. Gegenseitiges Schuldverhältnis

II. Bewirken der Gegenleistung

III. Gegenleistung nicht geschuldet iSv § 326 Abs. 4 BGB

1. Ursprüngliche Leistungspflicht aus dem Vertrag

2. Untergang des Leistungsanspruchs nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB

(P): Rechtliche Unmöglichkeit bzgl. der Leistung auf Seiten des Studios gem. § 275 Abs. 1 BGB vs. vorübergehenden Unmöglichkeit?

(P): Konkurrenzverhältnis § 275 Abs. 1 BGB und § 313 BGB

3. Keine Verantwortlichkeit gem. § 326 Abs. 2 BGB

IV. Rechtsfolge gem. § 346 Abs. 4 BGB

(P): sog. Gutscheinlösung – Ersetzungsbefugnis gem. Art. 240 § 5 EGBGB

B. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Herberger, JA 2022, 771; Englisch/Weinert, NJW 2022, 1987;

Zur Unmöglichkeit: Brox/Walker, SR AT § 22 Rn. 16,48 und zur Störung der Geschäftsgrundlage § 27 Rn. 2;

Allg. zu Auswirkungen der Pandemie: Woitkewitsch, NJW 2022, 1134.

 
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