Entscheidung der Woche 47-2021 (ÖR)
Sirin Al Hakim
Das Tarotkartenlegen auf einer öffentlichen Straße ist eine straßenrechtliche Sondernutzung.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: VGH BW 5 S 2592/18
in: NJW 2019, 2876
ESVGH 69, 229
VBlBW 2020, 120
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. Das Tarotkartenlegen auf einer öffentlichen Straße ist eine straßenrechtliche Sondernutzung.
2. Tarotkartenlegen ist keine (Straßen)-Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
B. Sachverhalt
Antragsteller A ist Wahrsager und legt in der Fußgängerzone der baden-württembergischen Stadt S Tarotkarten. Hierfür möchte A einen kleinen Klapptisch, zwei Klappstühle sowie ein Pappschild aufstellen, mit dem er auf sich aufmerksam macht. Um geheimnisvoller zu wirken und Zuschauer*innen anzulocken, möchte er mit einem langen schwarzen Mantel umhüllt an einem Tisch sitzen. Als Gegenleistung möchte A „Spenden“ von den Zuschauer*innen in Höhe von etwa 200 Euro pro Monat vereinnahmen. Zudem kommt A generell gerne mit Passanten ins Gespräch, unabhängig davon, ob diese seine Leistung letztlich in Anspruch nehmen. A beantragte vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm von der Stadt verwehrte Erteilung der nötigen Sondernutzungserlaubnis.
C. Anmerkungen
Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf die Erteilung der begehrten Sondernutzungserlaubnis zu. Vielmehr steht diese unter einem Erlaubnisvorbehalt, sodass A lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat.
Das Tarotkartenlegen fällt nicht unter den erlaubnisfreien Gemeingebrauch, sondern stellt vielmehr eine erlaubnispflichtige Sondernutzung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StrG dar. Die Differenzierung erfolgt hierbei nach dem Verkehrsbegriff. Denn liegt eine Nutzung zu anderen Zwecken als dem Verkehr vor, so liegt kein Gemeingebrauch vor, vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 StrG. Der kommunikative Verkehr fällt hierbei ebenfalls unter den Verkehrsbegriff. Das Tarotkartenlegen des A steht jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Verkehr im ursprünglichen Sinne, zumal die erstrebte Nutzung des Antragstellers in ihrem Hauptzweck nicht der Ortsveränderung diene, sodass sie nicht unter den weiten Verkehrsbegriff zu subsumieren ist.
Auch führt die Hinzuziehung der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG zu keinem anderem Ergebnis. Das Nutzen der Straße als Ort zur Verwirklichung der Kunstfreiheit könne zu Nutzungskonflikten führen. Die Kunstfreiheit würde auch nicht dadurch eingeschränkt, dass die Nutzung der Fußgängerzone als Sondernutzung unter einem Erlaubnisvorbehalt steht. Die Entscheidung steht im Ermessen der Behörde. Die Tätigkeit des A fällt nicht unter den Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 GG und somit nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit, sodass keine Ermessensreduzierung auf null besteht.
Bei der Begründung dessen hat sich der Senat den Kunstbegriffen des Bundesverfassungsgerichts bedient, wonach Kunst dann vorliegt, wenn das Werk dem formellen, materiellen oder offenen Kunstbegriff unterfällt. Das Tarotkartenlegen samt der in diesem Rahmen stattfindenden Gespräche unterfallen weder dem formellen noch dem materiellem Kunstbegriff. Auch unter den offenen Kunstbegriff lassen diese sich nicht subsumieren. Den von A geführten Gesprächen fehlen es an der Mannigfaltigkeit des Aussagegehalts, welche weitreichenden Interpretationen zugänglich sind. Sie stellen mithin keine künstlerischen Äußerungen dar. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG ist für das Tarotkartenlegen nicht eröffnet.
D. In der Prüfung
I. Erlaubnispflicht,
1. Gemeingebrauch, § 13 Abs. 1 Satz 1 StrG
a. enger Verkehrsbegriff
b. weiter Verkehrsbegriff
II. Rechtsfolge
1. Ermessensreduzierung
E. Zur Vertiefung
Laubinger, Straßenkunst: Gemeingebrauch oder Sondernutzung?, LSK 1991, 190127;
Heinz, Kunst auf der Straße im Labyrinth von Kunstfreiheit, straßenrechtlichem Gemeingebrauch und Sondernutzung, NVwZ 1991, 139;
Hebeler, Erfordernis einer Sondernutzungserlaubnis für Tarotkartenlegen auf öffentlicher Straße, JA 2020, 559;
Muckel, Kunstfreiheit: Tarotkartenlegen auf öffentlicher Straße keine Kunst, JA 2020, 69.