Entscheidung der Woche 39-2025 (SR)

Vivien- Christina Laue
Eine Tätowierung des Wortes "Fuck" über der rechten
Augenbraue des Geschädigten erfüllt das Merkmal der erheblichen
Entstellung i. S. d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB, auch wenn die
Tätowierung durch eine Lasertherapie entfernt werden könnte.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az: BGH 4 StR 495/24
In: BeckRS 2025, 18438
RÜ 2025, 515, LSK 2025, 18438, NJW 2025, 2865
A. Orientierungs-oder Leitsätze
Eine Tätowierung des Wortes "Fuck" über der rechten
Augenbraue des Geschädigten erfüllt das Merkmal der erheblichen
Entstellung i. S. d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB, auch wenn die
Tätowierung durch eine Lasertherapie entfernt werden könnte.
B. Sachverhalt
Der Angeklagte geriet mit dem Geschädigten über eine
Tätowierung in Streit, die dieser vor einiger Zeit auf dessen Wunsch auf die Fingerrücken gestochen hatte. Der Angeklagte
hielt dem Geschädigten vor, er habe die aus einer
Zahlenkombination bestehende Tätowierung falsch gestochen
("1213" statt " 1312" für "A.C.A.B."). Der Angeklagte beschloss somit,
den Mann für sein "Vergehen" zu bestrafen, und zwar so, dass es
jeder sieht: Der Angeklagte tätowierte dem Geschädigten gegen
dessen Willen das Wort "Fuck" in einem etwa 1,5 cm x 4,5 cm
großen Bereich über der rechten Augenbraue. Der Geschädigte
hatte davor keine Tätowierung im Gesicht. Er möchte sie
beseitigen lassen, was mittels Lasertherapie auch möglich, aber
langwierig und schmerzhaft wäre. Das für die Behandlung
erforderliche Geld hat der Geschädigte nicht. Er hat seinen
Haarschnitt so verändert, dass seine Haare die Tätowierung verdecken.
C. Anmerkungen
Das LG lehnte eine Verurteilung des Angeklagten wegen schwerer
Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB ab. Dies hielt
der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zunächst ist
eine Tätowierung i.S.d. Durchstechens der Haut bei gleichzeitiger
Einbringung eines Farbmittels ein erheblicher invasiver Eingriff in
die Körpersubstanz und stellt damit jedenfalls eine körperliche
Misshandlung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB dar. Eine erhebliche
Entstellung i. S. d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB setzt darüber hinaus
voraus, dass die Tat zu einer Beeinträchtigung des Aussehens des Geschädigten führt, die sich als eine Verunstaltung der Gesamterscheinung des Verletzten darstellt, welche in ihren
Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1
Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt. Das Vorliegen einer erheblichen
Entstellung bemisst sich nach der Wahrnehmungen der Verletzung
des Geschädigten, die durch seine Umwelt stattfindet. Auch wenn
diese nur in bestimmten Lebenssituationen - etwa beim Baden
oder Ausziehen der Kleidung - stattfindet. Eine Tätowierung im
Gesicht ist wie eine markante Narbe aufgrund der deutlichen vom
Hautbild abweichenden Färbung grds. geeignet, das Aussehen eines Menschen erheblich zu verändern. Dies gilt vor allem, wenn
der Betroffene bislang im Gesicht nicht tätowiert war. Ferner erfährt der Betroffene, wenn eine Wortbotschaft durch weite Teile
der Bevölkerung als anstößig wahrgenommen wird, durch die
Veränderung seines Erscheinungsbildes eine Stigmatisierung, die
in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226
Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt. Dauernd i.S.d. § 226 Abs. 1
Nr. 3 Alt. 1 StGB ist eine Entstellung, wenn sie zu einer unbestimmt
langwierigen Beeinträchtigung des Aussehens des Geschädigten
führt. Dabei genügt es, wenn die Behebung bzw. nachhaltige
Verbesserung des Krankheitszustandes nicht abgesehen werden
kann. Die Dauerhaftigkeit der Entstellung entfällt zudem nicht,
wenn der Geschädigte sich gegen eine (kosmetische) Operation
entscheidet, da es seine freie Entscheidung ist. Dies gilt auch in
den Fällen, in denen der Geschädigte die Behandlung nicht
vornimmt, weil sie ihm finanziell nicht möglich ist. Der Senat
kommt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte gem. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB strafbar ist.
D. In der Prüfung
A. Strafbarkeit gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand des § 223 StGB
a. Körperliche Misshandlung und/oder Gesundheitsschädigung
b. Zwischenergebnis
2. Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB
a. Mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs, § 224 Abs. 1
Nr. 2 Alt. 2 StGB
b. Zwischenergebnis
3. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
B. Strafbarkeit gem. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, Abs. 2 StGB
I. Tatbestand
1. Grundtatbestand des § 223 StGB
2. Erfolgsqualifikation des § 226 StGB
a. Eintritt der schweren Folge
b. Kausalität
3. Fahrlässigkeit bzgl. des Eintritts der schweren Folge, § 18 StGB
4. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
C. Konkurrenzen
E. Literaturnachweis
BGH, Beschluss vom 10.04.2025 – 4 StR 495/24; vgl.
MüKoStGB/Hardtung, § 226 Rn. 31ff.
