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Entscheidung der Woche 01-2020 (ÖR)

Jasmin Wulf 

Art. 2 Abs. 1 GG schützt das Recht des Einzelnen auf freien Zugang zum Strand zum Spazierengehen, Baden und Wattwandern als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit. § 59 Abs. 1 BNatSchG beschränkt das Zugangsrecht verfassungskonform auf das Betreten über den Strand führender, auch privater Straßen und Wege und das Betreten tatsächlich ungenutzter Teilflächen des Strandes.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerwG, Urt.v.13.09.2017 – BVerwG 10 C 7.16

in: NVwZ 2018, 73

 

A. Leitsätze

1. Verweigert eine kommunale Eigengesellschaft Erholungssuchenden die Ausübung eines diesen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zustehenden Rechts auf freien Zugang zu Strandflächen und -wegen, können die Betroffenen von der Gemeinde verlangen, die Eigengesellschaft durch Gesellschafterbeschluss anzuweisen, ihnen freien Zugang im Umfang ihrer Berechtigung zu gewähren.

2. Art. 2 Abs. 1 GG schützt das Recht des Einzelnen auf freien Zugang zum Strand zum Spazierengehen, Baden und Wattwandern als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit. § 59 Abs. 1 BNatSchG beschränkt das Zugangsrecht verfassungskonform auf das Betreten über den Strand führender, auch privater Straßen und Wege und das Betreten tatsächlich ungenutzter Teilflächen des Strandes.

3. Eine das Betretungsrecht gemäß § 59 Abs. 1 BNatSchG ausschließende Nutzung liegt nicht vor, wenn ein Entgelt für das nach dieser Vorschrift unentgeltlich zu duldende Betreten zu Erholungszwecken im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG gefordert wird.

4. Eine nach § 59 Abs. 1 BNatSchG tatbestandsmäßige Nutzung von Strandflächen als Strandbad setzt eine Mehrzahl benachbarter, funktional aufeinander bezogener Einrichtungen der Bade-Infrastruktur voraus, deren Nutzung schon mit dem Eintritt für den Strandbadbesuch abgegolten ist. Das Aufstellen einzelner Sanitäranlagen oder Abfallbehälter genügt dazu nicht.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Die Kläger machten das Recht auf ganzjährig unentgeltlichen Zugang zu den 9 km langen Meeresstränden im Gemeindegebiet geltend. Eine Eigengesellschaft der Gemeinde hatte nahezu 90 % der Strandfläche vom Land Niedersachsen gepachtet, eingezäunt und in bestimmten Abschnitten mit Rettungsstationen, Sanitärgebäuden, Kiosken und Kinderspielgeräten ausgestattet, um sie während der Badesaison als kostenpflichtige Strandbäder zu betreiben. Die Kläger beriefen sich dagegen auf den gewohnheitsrechtlichen Gemeingebrauch am Küstengewässer und am Meeresstrand sowie auf § 59 Abs. 1 BNatSchG, der jedermann das Recht gibt, die freie Landschaft auf Straßen und Wegen und ungenutzten Grundflächen unentgeltlich zu betreten.


C. Anmerkungen

Das BVerwG hat entschieden,dass die Einzäunung und Bewirtschaftung nahezu des gesamten Meeresstrandes der Gemeinde Wangerland als kostenpflichtiges kommunales Strandbad rechtswidrig ist. Soweit die Grundstücksflächen nicht von der Bade-Infrastruktur geprägt sind, dürfen sie unentgeltlich zum Baden und Spazierengehen betreten werden. Das Berufungsurteil verletze das Grundrecht der Kl. aus Art. 2 Abs. 1 GG und widerspreche § 59 Abs. 1 BNatSchG. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folge ein Recht zur Abwehr rechtswidriger Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, wodurch nicht nur die beklagte Gemeinde, sondern auch deren Eigengesellschaft verpflichtet werde. Der unentgeltliche Zutritt zum Strand dürfe den Klägern nicht schon wegen der Bewirtschaftung der Pachtflächen als Strandbad verweigert werden. Der Betrieb dieser kommunalen Einrichtung sei rechtswidrig, weil eine wirksame Widmung fehle.

Außerdem schränke die Inanspruchnahme nahezu des gesamten Strandes die allgemeine Handlungsfreiheit unverhältnismäßig ein. Daraus folge allerdings kein Recht der Kläger auf freien Zugang zu sämtlichen Strandflächen. § 59 Abs. 1 BNatSchG beschränke das Recht zum unentgeltlichen Betreten fremder Grundstücke in der freien Landschaft verfassungskonform auf Straßen und Wege und ungenutzte Grundflächen. Die Ausstattung des Strandes mit Infrastruktureinrichtungen für den Badebetrieb und der Betrieb des Strandbades selbst stellen eine Nutzung dar.

Das BVerwG sieht in der vollständigen Absperrung der Strandgrundstücke keine Nutzung i.S.d § 59 Abs. 1 BNatSchG. Denn in der Errichtung von Zugangssperren liegt keine das Betretungsrecht tatbestandlich ausschließende Verwendung eines Grundstücks, sondern eine Einschränkung dieses Rechts, die nur nach Maßgabe des § 59 Abs. 2 S. 2 BNatSchG gerechtfertigt sein kann. Die Sperrung durch Zäune und Kassenhäuschen dient aber keinem der hier aufgezählten Gründe des Naturschutzes oder der Gefahrenabwehr, sondern der Erzielung von Einnahmen, womit das nach Sinn der Zweck des § 59 Abs. 1 BNatSchG unentgeltliche Betretungsrecht nicht ausgeschlossen werden kann.


D. In der Prüfung

A. Zulässigkeit (+)

B. Begründetheit (+)

I. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG

II. Einschränkung durch § 59 Abs. 1 BNatSchG (-)


E. Zur Vertiefung

Muckel, JA 2018, 879.

 
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