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Entscheidung der Woche 01-2021 (SR)

Johanna Lange

Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude ist teilweise zerstört i.S.d. § 306a Abs. 1 StGB, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar wird.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 3 StR 408/19

in: BGH NJW 2020, 942

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude ist teilweise zerstört i.S.d. § 306a Abs. 1 StGB, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar wird.


B. Sachverhalt

A flüchtete aufgrund politischer und religiöser Konflikte in seinem Heimatland nach Deutschland. Sein gestellter Asylantrag wurde abgelehnt, er bekam stattdessen eine ausländerrechtliche Duldung. Aufgrund dieser Erlaubnis konnte er keiner Arbeit nachgehen und lebte in einer Flüchtlingsunterkunft. Da A mit diesen Umständen unzufrieden war und sie als unangemessen empfand, beschloss er, seine Unterkunft anzuzünden, um sie zu zerstören oder zu beschädigen. Er setzte zunächst sein Zimmer in Brand, um danach das Sofa des Y anzuzünden. Die Feuerwehr löschte die Brände zügig, das Zimmer des Y blieb trotz Beschädigungen an dem Mobiliar weiterhin bewohnbar. Das Zimmer des A, welches durch starke Verrußungen und Abplatzungen des Putzes beschädigt worden war, war vorübergehend unbewohnbar.

Hat sich A wegen schwerer Brandstiftung gem. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Der § 306a Abs. 1 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. In Nr. 1 wird dabei vor allem auf den Schutzwert der Wohnung einer Person abgestellt, um diese als Mittelpunkt menschlichen Lebens zu schützen. Ein Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft stellt ebenso wie eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus eine selbstständige, zum Wohnen bestimmte "Untereinheit" der Unterkunft dar. Anders als funktionell selbstständige Zimmer in einer Wohnung agiert das Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft für seinen Bewohner als Mittelpunkt menschlichen Lebens und wird zum Aufenthalt und Schlafen genutzt. Dabei ist nicht relevant, ob das Zimmer über Kochgelegenheiten oder sanitäre Einrichtungen verfügt.

Nach § 306a Abs. 1 StGB ist ein Gebäude teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbstständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, vernichtet werden. Dies ist dann gegeben, wenn zumindest einzelne von mehreren seiner Zweckbestimmungen nicht erfüllt werden können oder wenn eine Untereinheit in einem Wohnhaus für beträchtliche Zeit nicht für Wohnzwecke genutzt werden kann. Dies umfasst eine Zeitspanne, die größer als nur wenige Stunden oder einen Tag ist. Im Falle der Flüchtlingsunterkunft ist diese demnach unter anderem teilweise zerstört, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für eine beträchtliche Zeit nicht bewohnbar ist.

Die Zimmer des A und Y stellen eine solche Untereinheit dar, jedoch kann das Zimmer des Y weiterhin bewohnt werden. Anders ist dies bei dem Zimmer des A. Dieser konnte vorübergehend nicht in dem Zimmer wohnen, sodass auch von einer beträchtlichen Zeitspanne ausgegangen werden kann. A hat sich gem. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.


D. In der Prüfung

Strafbarkeit des A gem. § 306a Abs. 1 StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Räumlichkeiten (Nr. 1 - 3)

b) Tathandlung

aa) Inbrandsetzen

bb) Durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstören

2. Subjektiver Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Tätige Reue, § 306e StGB


E. Zur Vertiefung

Kudlich, My home is my zu Wohnzwecken ge-nutztes Gebäude… (JA 2020, 312).

 
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