Entscheidung der Woche 01-2025 (ÖR)
Patricia Moreno Blanco
Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen zielt darauf ab, die menschenwürdige Existenz von Personen zu sichern, die dazu nicht in der Lage sind. Er besteht nicht, wenn die Bedürftigkeit durch eine Erwerbstätigkeit behoben werden kann, wovon beim Bezug einer Ausbildungsförderung gemäß dem BAföG zunächst ausgegangen werden kann.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BVerwG, Beschl. v. 23.09.2024 - 1 BvL 9/21
Fundstelle: BeckRS 2024, 29341
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen zielt darauf ab, die menschenwürdige Existenz von Personen zu sichern, die dazu nicht in der Lage sind.
2. Dieser Anspruch besteht nicht, wenn die Bedürftigkeit durch eine Erwerbstätigkeit behoben werden kann, wovon beim Bezug einer Ausbildungsförderung gemäß dem BAföG zunächst ausgegangen werden kann.
3. Hochschulzugangsberechtigte haben ein Recht auf gleichen Zugang zu Studienplätzen. Dieses Recht sorgt dafür, dass Studienplätze fair verteilt werden. Es beinhaltet aber kein Recht auf staatliche Unterstützung, um gesellschaftliche Hürden beim Studienzugang zu beseitigen.
4. Hochschulzugangsberechtigte haben das Recht, gleiche Bildungschancen zu erhalten (Art. 12 I GG i.V.m. Art. 20 I, Art. 3 GG). Demnach besteht eine staatliche Handlungspflicht nur dann, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen faktisch keinen Zugang zu bestimmten Ausbildungs- und Berufschancen haben.
B. Sachverhalt
Der Klägerin wurden für die Durchführung ihres Masterstudiums unter Anrechnung von Einkommen ihrer Eltern für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2014 Leistungen nach dem BAföG i.H.v. monatlich 176 Euro und für den Zeitraum Januar bis Februar 2015 i.H.v. monatlich 249 Euro bewilligt. Für den Zeitraum März bis September 2015 lehnte die Beklagte wegen anzurechnenden elterlichen Einkommens die Gewährung von Leistungen ab.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer höheren als der gesetzlich vorgesehenen Ausbildungsförderung für die Monate Oktober 2014 bis Februar 2015 und macht geltend, dass die zu diesem Zeitpunkt in § 13 I Nr. 2 BAföG festgelegte Höhe der Grundpauschale von 373 Euro verfassungswidrig gewesen sei. Sie habe deutlich unterhalb des Regelbedarfs für ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 I GG gelegen.
C. Anmerkungen
Das Verwaltungsgericht hat die Klage ab- und das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren über die von der Klägerin eingelegte Revision ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Grundpauschale des § 13 I Nr. 2 BAföG im hier relevanten Zeitraum mit dem Grundgesetz vereinbar war.
Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Grundpauschale dem Bundesverfassungsgericht vor. Es argumentierte, dass die Pauschale zwar nicht gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip verstoße. Dennoch sei die Festlegung der Grundpauschale nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da sie das Recht auf gleiche Bildungschancen nach Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht entschied hingegen, dass die Grundpauschale verfassungsgemäß sei. Es stellte jedoch gravierende methodische Mängel bei der Berechnung fest, etwa die Wahl ungeeigneter Referenzgruppen und die fehlende Anpassung an aktuelle Lebenshaltungskosten. Zugleich betonte es die Verantwortung des Staates zur Förderung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen, sah jedoch keine Verpflichtung des Staates, bestehende soziale Hürden vollständig zu beseitigen.
Damit haben Studierende keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf höheres BAföG. Aus dem vom Grundgesetz abgeleiteten Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 I GG i.V.m. Art. 20 I GG könne kein Recht für mittellose Hochschulzugangsberechtigte auf staatliche Leistungen hergeleitet werden, die ein Studium ermöglichen. Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen bestehe nicht, wenn man eine existenzsichernde Arbeit aufnehmen könne - auch wenn dann unter Umständen Studieren unmöglich werde.
D. In der Prüfung
A. Zulässigkeit
B. Begründetheit
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 13 I Nr. 2 BAföG
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit des § 13 I Nr. 2 BAföG
(P) Verstoß gegen Art. 1 I GG i.V.m. Art. 20 I GG
E. Literaturhinweise
BeckRS 2024, 29341FD-SozVR 2024, 824052
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/1bvl921-bverfg-bafoeg- studium-studierende-sozialstaat