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Entscheidung der Woche 02-2021 (ÖR)

Jasmin Wulf

Die Vorgaben für die Haartracht von Soldaten in Nr. 202 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2630/1 haben in § 4 Abs. 3 Satz 2 SG keine den Vorgaben des Gesetzesvorbehaltes genügende, hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerwG - 1 WB 28.17

in: www.bverwg.de

 

A. Leitsatz

Die Vorgaben für die Haartracht von Soldaten in Nr. 202 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2630/1 haben in § 4 Abs. 3 Satz 2 SG keine den Vorgaben des Gesetzesvorbehaltes genügende, hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage. Sie dürfen aber für eine Übergangszeit weiter angewandt werden.


B. Sachverhalt (vereinfacht)

Dem Verfahren liegt die Wehrbeschwerde eines Berufssoldaten zu Grunde, der nach eigenen Angaben ein Anhänger der Gothic-Kultur ist und lange Haare tragen möchte. Er ist verpflichtet, im Dienst Uniform zu tragen und unterliegt zusätzlich der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2630/1 "Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", auch als „Haar- und Barterlass“ bekannt. Er hält die Regelung in Nr. 202 für diskriminierend, nach der männliche Soldaten die Haare kurz geschnitten tragen müssen. Dieselbe Dienstvorschrift gestatte es Soldatinnen, die Haare lang und am Hinterkopf zusammengebunden zu tragen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat der Beschwerde nicht abgeholfen.


C. Anmerkungen

Den Antrag des Soldaten auf Aufhebung der Dienstvorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis zurückgewiesen. Wie bereits in einer früheren Entscheidung dargelegt, schließt es das Gleichberechtigungsgebot nicht aus, für Soldatinnen und Soldaten unterschiedliche Regelungen in Bezug auf die Dienstkleidung und Haartracht bei der Dienstausübung vorzusehen. Die Vorgaben für die Haartracht von Soldaten in Nr. 202 ZDv A-2630/1 greifen unmittelbar in das Recht des Antragstellers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ein. Sie beschränken zum einen sein Recht, über die Gestaltung seiner äußeren Erscheinung auch im Dienst eigenverantwortlich zu bestimmen. Zum anderen beschränken sie damit notwendig zugleich sein Recht, sein äußeres Erscheinungsbild einschließlich der Haartracht im Rahmen seiner privaten Lebensführung außerhalb des Dienstes zum Ausdruck seiner individuellen Identität zu machen.

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Es kann daher aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes entspricht und inhaltlich hinreichend bestimmt ist, wenn der Eingriff auf Gründe des Gemeinwohls gestützt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Hieran fehlt es vorliegend, weil der Erlassgeber für den Eingriff in die Freiheit von Soldaten, das äußere Erscheinungsbild ihres Körpers nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, nicht in hinreichend bestimmter Weise durch den parlamentarischen Gesetzgeber ermächtigt wurde. Eine solche ausreichende gesetzliche Grundlage enthält § 4 Abs. 3 S. 2 SG nicht. Die Norm ermächtigt nur zu Bestimmungen über die Uniform und die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden. Weder dem Wortlaut der Norm noch den Gesetzgebungsmaterialien ist eindeutig zu entnehmen, dass der Erlassgeber im Sachzusammenhang mit der Festlegung einer Kleiderordnung auch zu notwendig in den privaten Lebensbereich hineinwirkenden Regelungen über die Gestaltung von Körperbestandteilen von Soldatinnen und Soldaten ermächtigt wird.

Da die früher geltende Vorschrift des § 4 Abs. 3 S. 2 SG aber weiter ausgelegt worden ist und ein einheitliches Auftreten der Bundeswehr im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit geboten ist, sind die Dienstvorschriften bis zu einer gesetzlichen Neuregelung vorläufig weiter anzuwenden.


D. In der Prüfung

I. Zulässigkeit der VB

II. Begründetheit der VB

1. Schutzbereich

2. Eingriff

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a. Schrankenbereich

b. Schranken-Schrankenbereich

aa. Formelle Verfassungsmäßigkeit

bb. Materielle Verfassungsmäßigkeit


E. Zur Vertiefung

Sodan/Ziekow, Grundkurs öffentliches Recht, § 7 Rn. 33ff.;

BVerwG, Haartracht von Soldatinnen und Sol-daten, NVwZ-RR 2014, 767.

 

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