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Entscheidung der Woche 02-2023 (SR)

Celina Weddige

Handelt der Täter in der Absicht, ein aus seiner Sicht respektloses Verhalten des Opfers mit dem Tod zu bestrafen, so liegt ein niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 5 StR 358/ 21

in: NStZ 2022, 740

BeckRS 2022, 8075

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Ein Beweggrund ist niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.

2. Handelt der Täter in der Absicht, ein aus seiner Sicht respektloses Verhalten des Opfers mit dem Tod zu bestrafen, so liegt ein niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor. Das gilt erst recht, wenn er das „geahndete“ Verhalten zuvor selbst ausgelöst hat.


B. Sachverhalt

A spazierte mit seiner Bekanntschaft B, welche er über ein Dating-Portal kennenlernte, durch einen Park. Bei diesem Spaziergang kamen die beiden an einer S-Bahn-Unterführung vorbei, an welcher ihnen der 13-Jährige C begegnete. C stand unter Einfluss von Ecstasy und schaute auf sein Mobiltelefon, sodass er A und B nicht bemerkte. Aufgrund dessen kam es fast zu einem Zusammenstoß zwischen B und C. B konnte allerdings noch rechtzeitig ausweichen, sodass ein solcher Zusammenstoß verhindert werden konnte. A hingegen empfand das Verhalten des C als respektlos und fragte C, was ihm denn einfallen würde. C erwiderte daraufhin, was denn A von ihm wolle. Daraufhin beleidigte A den C. C widerum beleidigte daraufhin A, woraufhin es zu einem halbminütigen Austausch wechselseitiger Beleidigungen kam.

B versuchte A zu beruhigen, was ihr allerdings nicht gelang. Im Gegenteil – A ließ sich nicht beruhigen, sondern zog ein Messer aus seiner Hostentasche hervor als er erkannte, dass er den Jungen anders nicht „einschüchtern und besiegen“ könne. B wurde von A angeschrien, dass sie weitergehen solle. C hingegen ließ sich von dem Messer nicht einschüchtern, sodass die wechselseitigen Beleidigungen weiterhin stattfanden. Dann nahm A das Messer und stach C mit Wucht und gezielt in die Brust. A war bewusst, dass ein solcher Stich zum Tod führen kann, was er allerdings billigend in Kauf nahm. C verblutete und starb.

Lag ein niedriger Beweggrund i.S.d. § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB vor?


C. Anmerkungen

Das LG Berlin verneinte das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes und nahm lediglich einen Totschlag iSd. § 212 Abs. 1 StGB an. Diese Ablehnung eines niedrigen Beweggrundes i.S.d. § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB hielt einer rechtlichen Nachprüfung durch den BGH allerdings nicht stand. Niedrige Beweggründe sind solche, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Dabei ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen. Insbesondere Gefühlsregungen wie Wut, Hass und Zorn stellen niedrige Beweggründe dar, sofern sie nicht als menschlich verständlich gelten. Sie müssen also gerade aus einer niedrigen Gesinnung des Täters herrühren.

Der BGH stellte fest, dass das LG Berlin einige Umstände außer Betracht gelassen hat, welche für die Entscheidung des Vorliegens eines niedrigen Beweggrundes wesentlich gewesen wären. Insbesondere hätte berücksichtigt werden müssen, dass A dem C „eine Lektion erteilen [wollte] und als Sieger vom Platz gehen“ wollte, da C ihnen gegenüber keinen Respekt gezeigt habe. Aufgrund dieses Umstandes wollte A den 13-Jährigen C mit dem Tod bestrafen. Zudem löste A den beleidigenden Charakter der Konversation aus und beherrschte unmittelbar das Ausmaß der Eskalation. A nahm C außerdem als „Junge“ und damit noch als ein Kind wahr. Möglicherweise stehe der Annahme eines niedrigen Beweggrundes entgegen, dass A das Messer spontan zog und vorab nicht plante. Allerdings ist die Annahme eines niedrigen Beweggrundes auch möglich, wenn der Täter seinen Tatentschluss spontan fasst. Weiterhin hielt der BGH dem LG entgegen, dass hätte berücksichtigen werden müssen, dass A zuvor strafrechtlich auffiel, indem er bei einem bloßen Hinweis auf Corona-Regeln gewalttätig reagierte. Dies verdeutliche, dass er sowohl damals als auch in dieser Situation maßlos übertrieben reagiere. Aufgrund dessen hielt die Ablehnung eines niedrigen Beweggrundes einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Demnach verwirklichte A einen niedrigen Beweggrund iSd. § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB.


D. In der Prüfung

§§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB

I. Objektiver Tatbestand

1. Tod eines anderen Menschen

2. Kausalität und objektive Zurechnung

II. Subjektiver Tatbestand

1. Vorsatz bzgl. aller objektiven Merkmale

2. Subjektives Mordmerkmal: niedriger Beweggrund


E. Literaturhinweise

Eser/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 211 Rn. 18ff.

 
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