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Entscheidung der Woche 03-2021 (ZR)

Julia Brandt

Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig iSv § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH - VI ZR 5/20

in: JuS 2020, 1076

NJW 2020, 2798

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig iSv § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.


B. Sachverhalt

Der Kläger (K) erwarb im August 2016 von der Autohaus S-GmbH (S) einen gebrauchten VW Touran, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die S ist Herstellerin des Wagens. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software manipuliert die Stickoxid-Emissionswerte bei Messungen auf dem Prüfungstand, wodurch sich geringere Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb zeigen. Vor Abschluss des Kaufvertrages, am 22.09.2015, gab VW in einer Pressemitteilung bekannt, dass Auffälligkeiten bei Motoren des Typs E189 untersucht werden würden. Die betroffenen Motoren würden auffällige Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realen Fahrbetriebswerten aufweisen. Im Oktober 2015 wertete das Kraftfahrt-Bundesamt diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung, woraufhin S ein Software-Update für die betroffenen Motoren entwickelte. Auch für das Fahrzeug des K wurde nach dem Erwerb dieses Update aufgespielt.

K verlangt mit seiner Klage Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, ferner Ersatz von Aufwendungen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung, dass sich S in Annahmeverzug befindet.


C. Anmerkungen

Nach Auffassung des Berufungsgerichtes hat K einen Schadenersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB. Der BGH widerlegt diese Ansicht mit seinem Urteil. Um einen Anspruch aus § 826 bejahen zu können, müsste die S sittenwidrig gehandelt haben. Eine reine Pflichtverletzung und das Hervorrufen eines Vermögensschadens reichen dafür nicht aus. Vielmehr beschreibt die Sittenwidrigkeit ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Das Verhalten muss als besonders verwerflich einzustufen sein, welches sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetreten Folgen ergeben kann. Das Verhalten ist in einer Gesamtschau zu betrachten und dessen Gesamtcharakter zu berücksichtigen. Dabei wird das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim Geschädigten zugrunde gelegt. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens

zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.

Vorliegend kann das Verhalten der K vor Abgabe der Pressemitteilung als sittenwidrig eingestuft werden. Danach ist dies bedingt durch die Verhaltensänderung und die Offenbarung des Fehlers nicht mehr anzunehmen. Die Software Manipulation wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert, so dass etwaiges Vertrauen potenzieller Kunden in die vorschriftsmäßige Abgastechnik als beseitigt gelten konnte. Ein weiteres Ausnutzen der Arglosigkeit der Käufer kann der S nach der Verhaltensänderung damit nicht mehr zu Last gelegt werden. Positiv zu bewerten sind zudem die Anstrengungen der S, die manipulative Software zu ersetzen und ihre Vertragshändler zu informieren, damit diese ihrerseits ihre Kunden über die schadhafte Software aufklären konnten. Damit ist das Verhalten der S nach Bekanntgabe der Manipulation nicht mehr als sittenwidrig zu bezeichnen. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Software Update in vielen Fällen, so auch in diesem, erst nach Erwerb des Gebrauchtwagens installiert wurde. K hat somit keinen Anspruch aus § 826 BGB.


D. In der Prüfung

I. § 826 BGB

1. Voraussetzungen

a. Schadenszufügung

b. Sittenwidrigkeit

(P) Verhaltensänderung vor Schadenseintritt

II. Ergebnis


E. Zur Vertiefung

Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rn. 9-11.

 
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