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Entscheidung der Woche 04-2021 (SR)

Lilly Pietsch

Ein Messerangriff auf einen Unbewaffneten kann das mildeste Mittel zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs gem. § 32 Abs. 2 StGB sein, wenn es das einzige Mittel ist, durch das der Angriff sicherlich abzuwenden ist.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 2 StR 363/18

in: BeckRS 2019, 13089

NStZ 2019, 598

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Ein Messerangriff auf einen Unbewaffneten kann das mildeste Mittel zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs gem. § 32 Abs. 2 StGB sein, wenn es das einzige Mittel ist, durch das der Angriff sicherlich abzuwenden ist.


B. Sachverhalt

C, der in der Gaststätte D ein Lokalverbot von Wirt A ausgesprochen bekommen hatte, betrat einige Monate später alkoholisiert erneut das Lokal. A, dem der C wieder unangenehm auffiel, wollte das Lokalverbot ihm gegenüber durchsetzen. C verließ das Lokal jedoch nicht. Auch nach der Androhung des A, die Polizei zu rufen, folgte C dem A hinter die Theke und begann eine verbale Auseinandersetzung mit der Ehefrau des A und ein Gerangel mit A, da dieser ihn aus dem Thekenbereich bugsieren wollte. C schlug A im Verlauf dieses Gerangels mehrmals auf den Mund und den Rücken. K und ein weiterer Gast gingen dazwischen und versuchten, C zu beruhigen. Als dies nicht gelang, ergriff A voller Wut ein 26 cm langes Messer, ohne dass C dies bemerkte. A stach auf den unbewaffneten C zweimal mit dem Messer ein. C bemerkte die Stichverletzungen

nicht. Danach riss K den C aus dem Thekenbereich und C verließ mit einer weiteren Person das Lokal. Als diese bemerkte, dass C blutete, fuhren sie ins Krankenhaus, wo zwei nicht lebensbedrohliche, sich auf das Weichgewebe beschränkende Stichverletzungen von bis zu 5 cm bzw. 7-10 cm Tiefe festgestellt

wurden.

Handelte A in Notwehr gem. § 32 StGB?


C. Anmerkungen

Unproblematisch liegt der Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB vor. Die Messerstiche können A objektiv zugerechnet werden und Vorsatz ist ebenfalls gegeben. Fraglich ist jedoch, ob A durch Notwehr gerechtfertigt handelte. Gemäß § 32 Abs. 2 StGB ist eine in einer

Notwehrlage ausgeübte Tat gerechtfertigt, wenn sie zur sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs geeignet ist und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der Situation zur Verfügung steht. Die Beurteilung erfolgt auf Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Verteidigungshandlung. Zweifelhaft ist, ob das mildeste Mittel zur Abwehr des Angriffs und damit die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung vorlag. Eine Androhung, wie sie beim Gebrauch eines Messers erfolgen sollte und die ein milderes Mittel wäre, fand hier nicht statt. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass diese bloße Androhung den C nicht von einem Gerangel abgehalten hätte. Dieser ließ sich zuvor auch von zwei weiteren Gästen nicht beruhigen und war stark alkoholisiert, was eine Einschränkung seines Hemmungsvermögens bedingte.

Der BGH weist außerdem darauf hin, dass nicht einmal die Messerstiche C davon abhielten weiterzumachen, sondern K, der den C schließlich mit körperlicher Gewalt aus dem Thekenbereich herauszog. Der Angriff des C gegen A dauerte bereits einige Minuten an. Die so hervorgerufene objektive Notwehrlage berechtigte A grundsätzlich, ein sofort wirksames Mittel zur Beendigung dieses

Angriffs einzusetzen. Ob ein weniger gefährlicher Messereinsatz oder eine Androhung zum gleichen Ergebnis geführt hätte, lässt sich nicht hinreichend feststellen. A handelte somit in Notwehr.


D. In der Prüfung

Strafbarkeit des A gem. § 224 StGB

I. Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit

→ Notwehr (§ 32 StGB)

1. Obj. Rechtfertigungstatbestand

a) Notwehrlage

b) Notwehrhandlung

aa) Verteidigung

bb) Erforderlichkeit

(1) Geeignetheit

(2) Mildestes Mittel

(P) Androhung

cc) Gebotenheit

(1) Ausschluss des Notwehrrechts

(2) Stufenmodell: Ausweichen,

Schutzwehr, Trutzwehr

2. Subj. Rechtfertigungstatbestand

III. Schuld


E. Zur Vertiefung

Zur Notwehr Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Auflage 2020, § 18.

 
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