Entscheidung der Woche 04-2024 (SR)
Anna Oleszewski
Ein Gericht verstößt bei der Anwendung des § 185 StGB gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn es bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde legt, ohne...
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: OLG Dresden, Beschl. v. 05.12.2022 - 1 OLG 22 Ss 550/22
in: RÜ 9/23 584
BeckRS 2022, 37852
A. Orientierungs- und Leitsätze (der Redaktion)
1. Ein Gericht verstößt bei der Anwendung des § 185 StGB gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn es bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fern liegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen zu haben.
2. Bei Äußerungen, die sich als Schmähung erweisen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts, ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng zu definieren.
B. Sachverhalt
A fuhr mit seinem Pkw und benutzte dabei sein Mobiltelefon. Somit verstieß er gegen § 23 Abs. 1 a StVO. Hierbei wurde er von zwei Polizeibeamten beobachtet, welche ihn daraufhin einer Kontrolle unterzogen. A stieg aus seinem Pkw aus und sagte zu den Beamten: "Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit, das alles wegen so einer Lappalie, was ist euer Scheiß-Problem?", um seine Missachtung auszudrücken.
C. Anmerkungen
Das OLG Dresden hat der Revision des Angeklagten A stattgegeben. Demnach hat A sich nicht wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen (§§ 185, 52 StGB) strafbar gemacht. Insbesondere ist bei einer Strafbarkeit wegen Beleidigung nach § 185 Hs. 1 StGB das Grundrecht auf Meinungsäußerung zu berücksichtigen.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Eine Äußerung, die polemisch oder verletzend formuliert ist, ist nicht direkt vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit ausgeschlossen. Vielmehr können selbst beleidigende Äußerungen dem Schutzbereich des Grundrechts unterfallen. Allerdings unterliegt auch die Meinungsfreiheit Schranken und wird nicht vorbehaltlos gewährt. Diese Schranken ergeben sich aus den Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre wozu auch § 185 StGB zählt. Bei Gesetzen welche die Meinungsfreiheit beschränken, ist das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, um dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Folglich erfordert die Feststellung einer Strafbarkeit nach § 185 StGB regelmäßig eine fallbezogene Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Abwägungskriterium ist hierbei die zutreffende Deutung des Aussageinhalts. Bei dieser Deutung wird vom Wortlaut ausgegangen. Zudem bestimmt sich der Sinn der getroffenen Äußerung nach ihrem sprachlichen Kontext und den erkennbaren Begleitumständen unter denen sie fällt.
Die Meinungsfreiheit tritt regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück, wenn es sich bei den getätigten Äußerungen um solche handelt, die als Schmähung gewertet werden. Jedoch ist der Begriff der Schmähkritik eng zu definieren. Dies ergibt sich aus dem Effekt der Schmähkritik, die Meinungsfreiheit zu verdrängen. Aufgrund der engen Definition macht auch eine bezogene oder ausfällige ehrverletzende Kritik eine Äußerung noch nicht zu einer Schmähung. Man kann bei einer Äußerung erst von einer Schmähung sprechen, wenn nicht mehr die Auseinandersatzung in der Sache sondern die Diffamierung der betroffenen Person im Vordergrund steht. Beispielsweise kann dies bei der Verwendung von besonders schwerwiegenden Schimpfwörtern der Fall sein.
Das OLG Dresden hat im Bezug auf den vorliegenden Fall eine solche Schmähkritik abgelehnt. Der A war demnach mit dem Ablauf der Polizeikontrolle unzufrieden. A bezeichnet zudem die Beamten nicht direkt. Man kann bei den von A gewählten Worten weiterhin auch nicht von schwerwiegenden Schimpfwörtern sprechen.
Folglich ist lediglich von einer straflosen Meinungskritik an der Kontrolle auszugehen.
D. In der Prüfung
§ 185 StGB
1. Tatbestand
a. Objektiver Tatbestand
aa. Beleidigung
E. Literaturhinweise
MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 185;
BeckOK UWG/Weiler, 22. Ed. 1.10.2023, UWG § 4 Rn. 78-79.1.