Entscheidung der Woche 05-2023 (SR)
Johanna Lange
Klimaschutz ist ein Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: AG Flensburg , 07.11.2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22
in: openJur 2022, 22268
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. Das Aufstellen eines neuen und lückenlosen Zaunes zeigt, dass aus der Sicht des Berechtigten das Grundstück zuvor nicht umfriedet gewesen ist.
2. Klimaschutz ist ein Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB.
B. Sachverhalt
A besetzte am 01.10.2020 gemeinsam mit anderen Personen Bäume eines privaten Grundstücks, auf dem ein Hotel gebaut werden sollte. A wollte die geplante Baumfällung zugunsten des Hotelbaus und dadurch die Errichtung des Hotels verhindern. Das Grundstück war zu einer Seite mit einem ca. 1,10 Meter hohen Zaun umfriedet, auf der anderen Seite mit einem ca. zwei Meter hohen Zaun, zur dritten Richtung konnten nur noch auf einer Länge von drei Metern Zaunreste festgestellt werden, zudem hatte der Zaun auf Höhe eines Parkplatzes eine Öffnung. In der vierten Richtung war es durch natürliche Vegetation und ehemalige Zaunpfosten begrenzt.
Das gesamte Grundstück wurde am Morgen des 19.02.2021 zudem mit Bauzäunen eingezäunt und einige Bäume bereits angesägt. Am gleichen Tag seilte A sich nun von dem Baum, auf dem er verweilte, ab und verließ das Grundstück.
Hat sich A wegen Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB strafbar gemacht?
C. Anmerkungen
Zunächst war festzustellen, ob „befriedetes Besitztum“ nach § 123 Abs. 1 StGB vorlag. Dies ist angesichts der vielen Lücken im Zaun um das Grundstück und die Vegetationsgrenze eher abzulehnen. Jedoch stellt spätestens der Aufbau des Bauzaunes um das gesamte Grundstück eine Einfriedung nach § 123 StGB dar und zeitlich eine Aufforderung des Berechtigten an alle auf den Bäumen befindliche Personen, das Grundstück nun zu verlassen. Die Veranlassung, einen anderen Zaun aufzubauen gibt zudem gerade den Hinweis darauf, dass zuvor das Grundstück aus Sicht der Berechtigten nicht ausreichend umfriedet gewesen und kein taugliches Tatobjekt i.S.d. § 123 StGB gewesen ist. Ab dem Zeitpunkt des Aufbaus des Bauzauns liegt demnach das für eine Strafbarkeit notwendige „Verweilen ohne Befugnis trotz Aufforderung des Berechtigten“ nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 StGB vor. Zudem handelte A durch das Wissen und Wollen bezüglich des nicht genehmigten Verweilens aus Protest- und Schutzgründen für die Bäume vorsätzlich. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es A nicht darum ging, sich dem Berechtigten zu widersetzen oder ihn zu schädigen, sondern dass er sich aus Klimaschutzgründen dazu genötigt sah, auf einem Baum zu verweilen, damit dieser nicht gefällt werden konnte. Der Tatbestand des § 123 Abs. 1 StGB ist erfüllt. Jedoch kommt als Rechtfertigungsgrund der rechtfertigende Notstand gem. § 34 StGB in Betracht.
Als notstandsfähiges Rechtsgut kommt der Klimaschutz in Betracht, der seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 20a GG findet. Nach der Rechtsprechung verpflichtet dieser die staatlichen Organe zur Reduktion von Treibhausgasemissionen und zielt insofern auch auf die Herstellung von Klimaneutralität ab. Es ist unerheblich, dass Art. 20a GG dem A nicht als Individualrechtsgut zusteht, denn § 34 StGB schützt auch Rechtsgüter der Allgemeinheit. Zudem bindet Art. 20a GG nicht Private, aber die Justiz als staatliches Organ. Dies bedeutet, dass der Begriff des „anderen Rechtsguts“ in § 34 StGB im Lichte des Art. 20a GG und unter Berücksichtigung der effektiven Verwirklichung der Klimaschutzverpflichtung des Staates ausgelegt werden muss. Weiterhin bestand auch eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut, denn der Klimawandel und die Folgen sind wissenschaftlich hinreichend belegt. Zudem setzt die erforderliche Geeignetheit der Maßnahme nur voraus, dass die Gefahrabwehr durch die Maßnahme nicht gänzlich unwahrscheinlich war. A ging es nicht darum, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und bloßen zivilen Ungehorsam zu leisten, sondern die für die Bindung des CO2 wichtige Vegetation zu schützen. Das Verweilen war geeignet und zudem nicht anders durch ein milderes Mittel abwendbar, also erforderlich.
In der Interessenabwägung stehen sich die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG und das Hausrecht des Berechtigten gegenüber, dass sich aus Art. 14 GG ergibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bis zum 19.02. das Grundstück nur rudimentär umfriedet gewesen ist und es dem Berechtigten demnach gerade nicht darauf ankam, sein Hausrecht auszuüben und zu entscheiden, wer auf sein Grundstück darf. Es überwiegt in diesem Fall der Klimaschutz.
Somit ist A durch § 34 StGB rechtfertigt.
D. In der Prüfung
Strafbarkeit des A gem. § 123 Abs. 1 2. Alt StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB
III. Ergebnis
E. Literaturhinweise
BVerfG NJW 2021, 1723 ff.