Entscheidung der Woche 06-2024 (ZR)
Chiara Schoop
Der einseitige Ausschluss der ordentlichen Kündigungsfrist vor Beginn der Vertragslaufzeit innerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen zwischen einem privaten Kindergarten und einem Elternpaar stellt...
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: LG München I, 2 O 10468/22
in: BeckRS 2023, 30325
A. Orientierungs- oder Leitsätze
1. Der einseitige Ausschluss der ordentlichen Kündigungsfrist vor Beginn der Vertragslaufzeit innerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen zwischen einem privaten Kindergarten und einem Elternpaar stellt eine unangemessene Benachteiligung dar.
2. Die Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist gem. §§ 307 Abs. 1, 2 BGB unwirksam.
3. Gegen die Wirksamkeit der Klausel spricht auch die Nähe zu dem Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit aus § 309 Nr. 9a BGB.
B. Sachverhalt
Die Kläger sind Eltern zweier Kindern. Der Beklagte zu 2) ist Inhaber eines privaten Kindergartens. Am 10.11.2020 bzw. 30.11.2020 schlossen die Parteien für beide Kinder jeweils einen Vertrag über die Betreuung, welcher zunächst am 01.11.2021 beginnen sollte und anschließend einvernehmlich auf den 01.01.2022 verschoben wurde. Der Vertrag schließt unter Zif. 8 die ordentliche Kündigung des Betreuungsverhältnisses vor Beginn der Betreuung aus.
Im März 2021 erklärten die Kläger die Kündigung beider Veträge bzw. den Rücktritt. Daraufhin wies der Kindergarten die Kündigung mit Hinweis auf die Klausel zurück und bestand auf die im Vertrag festgelegte dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende. Der Kindergarten zog von den Klägern insgesamt 6.320,00 € per Lastschrift vom Konto der Kläger ein. Die beiden Kinder der Kläger wurden zu keinem Zeitpunkt im Kindergarten betreut. Die Kläger fordern Rückzahlung von insgesamt 6.320,00€ nebst Zinsen. Die Beklagten tragen vor, dass die Kündigung beider Verträge mangels Vorliegens hinreichender Gründe für eine sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses unwirksam sei. Zudem sei eine ordentliche Kündigung vor dem vereinbarten Vertragsbeginn wirksam ausgeschlossen worden.
C. Anmerkungen
Das LG entschied, dass den Klägern aufgrund der wirksamen Kündigung des Vertrages bereits vor Beginn der Vertragslaufzeit ein Anspruch auf Rückzahlung der eingezogenen 6.320,00€ nach § 812 ABs. 1 S.1 Alt. 1 BGB.
Betreuungsverträge sind grundsätzlich Dienstverträge i.S.d. § 611 BGB. Für unbefristete Dienstverträge sieht der Gesetzgeber eine Kündigung zum 15. eines Monats zum Monatsende gem. § 621 Nr. 3 BGB vor. Der vorliegende geschlossene Vertrag weicht von dieser Regelung ab, denn die Kläger waren erst ab Beginn der Vertragslaufzeit an eine dreimonatige Kündigungsfrist gebunden. § 621 BGB ist abdingbar, wodurch Fristregelungen mittels AGB festgelegt werden können, welche sich jedoch an § 309 Nr. 9a BGB sowie den Befristungs- und Kündigungsvorschriften des BGH messen lassen müssen. Verstößt die verwendete Klausel gegen den Grundgedanken des § 621 BGB, führt dies grds. zur Unwirksamkeit.
Der wesentliche Grundgedanke des § 621 BGB umfasst, dass bei unbefristeten Dienstverhältnissen, deren Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen ist, eine Kündigung möglich sein muss, wobei die Länge der Frist eben nicht zwingend ist. Vorliegend greifen keine besonderen Klauselverbote, sodass die streitgegenständliche Regelung in Zif. 8 an der Generalklausel des § 307 BGB zu messen wäre. Im Rahmen der von § 307 I BGB gebotenen Abwägung der Interessen des Kindergartens als Verwender der Klausel mit den Interessen der Eltern als Vertragspartner, wurde festgestellt, dass die Klausel die Eltern unangemessen benachteilige. Dies Läge insbesondere an der Einseitigkeit der Klausel, welche das ordentliche Kündigungsrecht vor Beginn der Vertragslaufzeit einseitig ausschloss, also den Eltern verwehrte und gleichzeitig dem Kindergarten erlaubte.
Das Gericht erkannte zwar das große Interesse des Kindergartens hinsichtlich der Planungssicherheit, bezweifelte jedoch warum dieses Interesse durch eine frühzeitige Kündigung gefährdet sein sollte, wenn der Kindergartenplatz noch anderweitig vergeben werden könnte. Zudem bestünde die von der Beklagtenseite geforderte Planungssicherheit auch seitens der Eltern. Des Weiteren werde die Dispositionsfreiheit der Eltern, sich von dem geschlossenen Betreuungsvertrag innerhalb einer angemessener Frist wieder lösen zu können, nicht ausreichend von der Klausel sichergestellt, auch wenn zumindest das Recht zur außerordentlichen Kündigung weiter fortbesteht.
Schließlich spräche auch die Nähe zum Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit gem. § 309 Nr. 9a BGB gegen die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Klausel. Gem. § 309 Nr. 9a BGB ist eine Klausel, welche den Vertragspartner bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat, länger als 2 Jahre bindet, unwirksam. Vorliegend wird durch den frühzeitigen Vertragsschluss und der langen Kündigungsfrist eine Vertragsbindung von bereits 1,5 Jahren erreicht, sodass sich die Klausel dem Rahmen des § 309 Nr. 9a BGB annähert und unwirksam ist.
D. In der Prüfung
I. Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB
1. Etwas erlangt
2. Durch Leistung
3. Ohne Rechtsgrund
a. Begründung eines Dienstvertrages
b. Beendigung durch Kündigung
aa. Ordnungsgemäße Kündigungserklärung
bb. Kündigungsfrist
(1.) Anwendungsbereich, §§ 305 ff. BGB
(2.) Vorliegen von AGB, § 305 I BGB
(3.) Einbeziehungskontrolle
(4.) Vorrang der Individualabrede
(5.) Inhaltskontrolle
(a.) § 309 BGB
(b.) Generalklausel, § 307 II BGB
(c.) Generalklausel, § 307 I BGB
…
E. Literaturhinweise
Jauerning BGB/Mansel, § 621 Rn. 1;
Münchner Kommentar BGB/Busche, § 157 Rn. 30.