Entscheidung der Woche 08-2020 (ZR)
Robin Dudda
Ein Wegrollen eines Fahrzeugs steht noch in einem engen Zusammenhang mit dessen Betrieb iSd § 7 I StVG, wenn das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß gegen ein Wegrollen gesichert gewesen ist.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: OLG Köln – 6 U 234/ 18
in: BeckRS 2019, 14345
A. Orientierungssätze
Ein Wegrollen eines Fahrzeugs steht noch in einem engen Zusammenhang mit dessen Betrieb iSd § 7 I StVG, wenn das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß gegen ein Wegrollen gesichert gewesen ist. Versucht der Geschädigte, ein wegrollendes Fahrzeug mit bloßen Händen aufzuhalten und verletzt er sich dadurch, steht dem Anspruch aus § 7 I StVG der § 8 Nr. 2 StVG entgegen.
B. Sachverhalt (verkürzt & vereinfacht)
K erwartete Besuch von B. Als er hörte, wie ein Fahrzeug auf seine Einfahrt fuhr, ging er vor die Haustür, um seinen Gast zu begrüßen. Während der Begrüßung merkte K, dass sich das Fahrzeug des B in Bewegung setzte und rückwärts den Hang hinunterrollte, da B vergessen hatte, die Handbremse zu ziehen. K lief hinter das Fahrzeug, um dessen Wegrollen zu verhindern, indem er mit seinen Händen gegen das Heck des Fahrzeugs drückte. Dabei verlor er das Gleichgewicht und wurde von dem Fahrzeug überfahren. Er erlitt einen Herzstillstand, eine Oberschenkelfraktur, eine Rippenserienfraktur, Verbrennungen sowie einen Pneumothorax. K konnte von den Rettungskräften reanimiert werden. Das Gefälle des Rollwegs steigt von ca. 2,5 % an der Einfahrt des K auf maximal 14,5 %.
K verlangt von B Schadensersatz aufgrund des Unfalls.
C. Anmerkungen
Für einen Anspruch des K aus § 7 I StVG müsste sich eine spezifische Betriebsgefahr des Fahrzeugs realisiert haben. Nach der maschinentechnischen Auffassung, die dafür einen laufenden Motor oder dessen Nachwirkungen verlangt, liegt diese nicht vor. Nach der herrschenden verkehrstechnischen Auffassung hingegen, ist das Fahrzeug im Betrieb, solange es im Verkehr noch eine Gefahr darstellt, auch wenn es bereits länger abgestellt ist. Das Fahrzeug des B stellte noch eine Gefahrenquelle für den Verkehr dar und war mithin im Betrieb.
K stand jedoch durch das versuchte Aufhalten des Fahrzeugs in unmittelbarer Beziehung zu dessen Betrieb und war somit den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt als die Allgemeinheit, weshalb ein Anspruch aus § 7 I StVG nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen ist. Gleichwohl kommt ein Anspruch aus § 823 I BGB in Betracht. Der haftungsbegründende Tatbestand liegt vor. Insbesondere ergab sich aus einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für B die Rechtspflicht, die Handbremse zu ziehen. K hat somit nach § 249 II 1 BGB einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sowie gem. § 253 II BGB einen Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld. Allerdings hätte K erkennen müssen, dass sein Verhalten aussichtslos war, nachdem sich das Fahrzeug gerade aufgrund der Steigung in Bewegung gesetzt hatte. Daraus ergibt sich ein Mitverschulden des K gem. § 254 BGB, auf Grund dessen sein Anspruch aus § 823 I BGB entsprechend zu kürzen ist.
D. In der Prüfung
A. Anspruch aus § 7 I StVG
I. Körper- und Gesundheitsschädigung
II. (P) Bei Betrieb
III. Anspruchsgegner ist Halter
IV. Keine höhere Gewalt, § 7 II StVG
V. Ausschluss gem. § 8 Nr. 2 StVG
VI. Ergebnis (-)
B. Anspruch aus § 823 I BGB
I. Haftungsbegründender Tatbestand
II. Haftungsausfüllender Tatbestand § 254 BGB
III. Ergebnis (+)
E. Zur Vertiefung
Zur Haftung des Kraftfahrzeughalters nach dem StVG: Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 14. Auflage 2019, § 74 Rn. 1ff.