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Entscheidung der Woche 08-2023 (SR)

Vanessa Ahrndt

Als Wegnahmehandlung genügt bei leicht beweglichen Sachen  regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten bzw. das offene Wegtragen der Sachen.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 6 StR 628/21

in: BeckRS 2022, 10757

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Als Wegnahmehandlung genügt bei leicht beweglichen Sachen  regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten bzw. das offene Wegtragen der Sachen.

2. Die alsbaldige Entdeckung des Täters und seine Festnahme bzw. die Beobachtung des Tathergangs stehen der Tatvollendung nicht entgegen. Damit wird lediglich die Rückgabe der Sache an den bisherigen Gewahrsamsinhaber ermöglicht; bereits gesicherter Gewahrsam seitens des Täters ist für die Vollendung der Wegnahme nicht erforderlich.


B. Sachverhalt

R und G sollen im Auftrag von U gegen Entlohnung einen Rucksack des H, der Bargeld sowie Betäubungsmittel enthält, – im Zweifel unter Gewaltanwendung – entwenden. Als R und G bei H klingeln rechnet dieser nicht mit einem Angriff. G drängt ihn in die Wohnung und schlägt ihm zweimal mit der Faust ins Gesicht, wodurch H ins Taumeln gerät. Währenddessen schließt R die Tür mit dem innen im Schloss steckenden Schlüssel ab. Als H um Hilfe ruft, hält ihm R den Mund zu. Es kommt zu einer Rangelei, in deren Verlauf H zu Boden geht. R versucht, ihn dort zu fixieren. Währenddessen durchsucht G die Wohnung. In der Küche findet er zwei Rucksäcke, in denen sich 2.000 Euro Bargeld und diverse Drogen befinden. G nimmt die Rucksäcke an sich.

Währenddessen werden Hs Schwester S und ihr Freund C, die in der darunterliegenden Wohnung wohnen, auf die Hilferufe des H aufmerksam. Wegen der abgeschlossenen Tür können sie die Wohnung nicht betreten, sondern das Geschehen nur vom Balkon beobachten. Als R und G bemerken, dass C auf den Balkon geklettert ist, um H zur Hilfe zu kommen, gelingt es H, sich von R loszureißen und die Balkontür zu öffnen. R und G versuchen zu fliehen. Allerdings gelingt es C  den R festzuhalten. G flieht bis zur Haustür, die die Mutter des H zuvor abgeschlossen hatte, sodass er bis zum  Eintreffen der Polizei festsitzt. 

Strafbarkeit von R und G gem. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, 25 Abs. 2 StGB?


C. Anmerkungen

Das Gericht musste sich in dem zugrundeliegenden Fall näher mit dem Tatbestandsmerkmal der Wegnahme auseinandersetzen. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen, Gewahrsams. Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache, das von deren Herrschaftswillen getragen ist, wobei es maßgeblich auf die Anschauung des täglichen Lebens ankommt. Zunächst bestand Gewahrsam des H am Bargeld und den Drogen, welche sich im Rucksack in seiner Wohnung befanden.

Fraglich ist jedoch, ob neuer Gewahrsam begründet wurde. Das Gericht führt hierzu an, dass die zur Vollendung eines Raubes führende Wegnahme dann vollzogen ist, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Das ist der Fall, wenn der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Maßgeblich sind insoweit die Anschauungen des täglichen Lebens.Danach genügt bei leicht beweglichen Sachen regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten bzw. das offene Wegtragen als Wegnahmehandlung. Hat der Täter einen solchen Gegenstand an sich gebracht, erlangt er jedenfalls dann die ausschließliche Sachherrschaft darüber, wenn er den umschlossenen Herrschaftsbereich des bisherigen Gewahrsamsinhaber verlassen hat. Die Beobachtung des Tathergangs bzw. alsbaldige Entdeckung des Täters und seine Festnahme stehen der Tatvollendung nicht entgegen

.Dadurch wird lediglich die Rückgabe der Sache an den bisherigen Gewahrsamsinahber ermöglicht; bereits gesicherter Gewahrsam des Täters ist für die Vollendung der Wegnahme nicht erforderlich.Demnach hatten die als Mittäter handelnden G und R nach der Auffassung des Gerichts den Gewahrsam des H an beiden Rucksäcken sowie den darin befindlichen Betäubungsmitteln und dem Bargeld spätestens zu dem Zeitpunkt gebrochen und neuen Gewahrsam begründet, als der G die Wohnung des H verlassen hatte und zur Hauseingangstür hinuntergelaufen war. Das R und G auf frischer Tat betroffen wurden und G das Haus wegen der verschlossenen Haustür nicht verlassen konnte, hinderte nicht die Vollendung der Tat, sondern lediglich deren Beendigung durch die Sicherung der Beute.


D. In der Prüfung

§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, 25 Abs. 2 StGB

1. Fremde, bewegliche Sache

2. Raubmittel

3. Wegnahme 

a) Begründung neuen Gewahrsams

b) Bruch fremden Gewahrsams

c) Mittäterschaftliche Zurechnung, § 25 Abs. 2 StGB

4. Raubspezifische Einheit 

5. Absicht rechtswidriger Zueignung 

6. Qualifikationsmerkmale 

7. Rechtswidrigkeit 

8. Schuld


E. Literaturhinweise

RÜ 2/2023, S. 100 ff. 

 
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