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Entscheidung der Woche 10-2021 (SR)

Celina Weddige

Mittäter i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB ist, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handelnals Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 4 StR 287/19

in: NStZ 2020, 730

BeckRS 2020, 17189

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Mittäter i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB ist, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handelnals Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. […] Die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung muss sich aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen.

2. Ob Mittäterschaft oder Beihilfe anzunehmen ist, hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängt.


B. Sachverhalt

A wurde an den Wochenenden als „Sicherheitskraft“ in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge tätig. Der Wachdienst war dort unter anderem für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zuständig. Bei Konflikten sollten sie einschreiten und die Hausordnung überwachen. Der Heimleiter ordnete die Einrichtung von Problemzimmern an. Diese dienten dazu, Verstöße der Flüchtlinge gegen die Hausordnung zu sanktionieren, indem sie dort eingeschlossen wurden. Diese Zimmer ließen sich nur von außen öffnen. Sollte ein Verstoß festgestellt werden, so mussten die Mitarbeiter, nach Weisung des Heimleiters, einen Sozialmitarbeiter hinzuziehen, welcher sodann u.a. über die Dauer des Aufenthalts entschied. Das Einschließen in die Zimmer sollte durch zwei Wachleute vorgenommen und in ein Wachbuch eingetragen werden. Die Vorgehensweise wurde gegenüber der Polizei nicht offengelegt.

A kannte die Vorgehensweise und war auch bereit, eigenhändig zu helfen und mitzuwirken und sah sich als „Teil des Wachsystems“, um die Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Als sie Tagesschicht hatte, erfuhr sie über Funk, dass ein Flüchtling auf Anordnung des Sozialmitarbeiters in eins der Problemzimmer gegen seinen Willen gebracht wurde. A war damit einverstanden und vermerkte es im Wachbuch. Später wurde ein zweiter Flüchtling in ein Problemzimmer gebracht, was A billigte und wieder im Wachbuch vermerkte.

Hat sich A wegen Freiheitsberaubung in Mittäterschaft / Beihilfe gem. §§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 2 / 27 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Das LG hatte A wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 Abs. 1 StGB in zwei Fällen verurteilt. Dieser Schuldspruch hielt vor dem BGH einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Ob Mittäterschaft oder Beihilfe angenommen werden kann, müsse das Gericht anhand einer Gesamtbetrachtung maßgeblicher Kriterien, wie dem Grad des eigenen Interesses an der Tat, dem Umfang der Tatbeteiligung und anhand der Tatherrschaft prüfen. Der BGH hielt der Annahme einer Mittäterschaft entgegen, dass die Beweisergebnisse gerade nicht entsprechend gewürdigt und bewertet wurden. Das LG hatte argumentiert, dass A das Einschließen der Flüchtlinge „unterstützt“ habe. Allerdings spreche bereits diese Formulierung des „Unterstützens“ nach dem BGH gegen eine Mittäterschaft i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB.

Der BGH ist auch nicht der Auffassung, dass A sich insoweit wegen Beihilfe strafbar gemacht habe. Hilfeleistung i.S.d. § 27 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Dabei kann zwar auch ein „Dabeisein“ die Begehung der Tat fördern oder erleichtern, wenn die Tat gebilligt wird und dies gegenüber dem Täter ausgedrückt wird und dieser dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt wird. Jedoch fehle es laut BGH hier schon daran, dass nicht eindeutig ersichtlich sei, in welchem Tun der fördernde eigene Tatbeitrag der A zum Einsperren der Flüchtlinge lag. Somit fehlt es an einem fördernden Beitrag der A, sodass eine Strafbarkeit wegen Beihilfe auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ausscheidet. Entgegen der Ansicht des LG führe auch der Umstand, dass A sich als „Teil des Wachsystems“ sah, nicht zu einer Annahme einer Beihilfe.

Daher kann vorerst weder eine Freiheitsberaubung in Mittäterschaft noch Beihilfe angenommen werden. Für die Annahme, dass die allgemeine Dienstausübung der A den Entschluss der anderen beiden Wachleute gefördert habe, fehle es bisher an tragfähigen Beweiserwägungen.


D. In der Prüfung

I. Strafbarkeit der A gem. §§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB

1. Tatbestand

a. Objektiver Tatbestand

aa. Einsperren, § 239 Abs. 1 Alt. 1 StGB

bb. Taugliches Tatobjekt

cc. Zurechnung der Tathandlung, § 25 Abs. 2 StGB

(1) Gemeinsamer Tatplan

(2) Gemeinsame Tatbegehung

–> Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe


E. Zur Vertiefung

Kudlich, Praxiskommentar zum Beschluss, NStZ 2020, 732f.;

zur Abgrenzung Joecks/Scheinfeld in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 4. Auflage 2020, § 25 Rn. 186ff.

 
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