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Entscheidung der Woche 10-2024 (SR)

Morris Timme

Rücksichtslos handelt ein Fahrer nur, wenn er sich seiner Pflicht zum Einhalten der rechten Fahrspur zwar bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.11.2022 - 1 OLG 2 Ss 34/22

in: RÜ 2023, 585,

BeckRS 2022, 36897

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

1. Rücksichtslos handelt ein Fahrer nur, wenn er sich seiner Pflicht zum Einhalten der rechten Fahrspur zwar bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt. Das Tatbestandsmerkmal der Rücksichtlosigkeit erfordert eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit; gelegentliche Unaufmerksamkeit oder reine Gedankenlosigkeit - auch bei Eintritt einer konkreten Gefährdung mit erheblichen Folgen - genügen hierfür nicht.

2. Wer sich sieben Wochen in einem Land mit Linksverkehr aufhielt, handelt regelmäßig lediglich aus Unachtsamkeit und nicht rücksichtslos, wenn er bei seiner ersten Fahrt in Deutschland gegen das Rechtsfahrgebot verstößt.


B. Sachverhalt

A legte sich nach seiner Heimkehr aus einem siebenwöchigen Thailandurlaub zu Hause für 4 Stunden schlafen, da er nach dem langen Nachtflug nicht gut geschlafen hatte. Nachdem er wieder erwacht und „fit" war, begann er mit seinem Auto eine Fahrt in den Nachbarort. Er bog aus seinem Grundstück links auf eine jeweils einspurige Landstraße und befuhr diese auf einer Strecke von 2-3 Kilometern auf der linken Fahrspur (d.h. im Gegenverkehr). In einer scharfen, nicht ohne Weiteres einsehbaren Kurve kollidierte er frontal mit dem ihm auf derselben Fahrspur entgegenkommenden G. A hatte sich weder vor Fahrtantritt noch während der Fahrt Gedanken darüber gemacht, dass in Deutschland - anders als in Thailand - Rechtsverkehr herrscht. G erlitt bei dem Unfall multiple Knochenbrüche. Wie hat sich A strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

A könnte sich wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c I Nr. 2e, III Nr. 2 StGB strafbar gemacht.

Das Gericht stellte fest, dass A im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt hat. Des Weiteren müsste A grob verkehrswidrig gehandelt haben. Objektiv muss dafür ein besonders schwerer Verstoß gegen die jeweilige Verkehrsvorschrift vorliegen. Wegen des vorliegenden Verstoßes gegen die „Kardinalpflicht" des § 2 II StVO (Rechtsfahrgebot), wurde dies vom Gericht bejaht.

Zudem müsste A jedoch auch rücksichtslos gehandelt haben. Rücksichtslos handelt, wer aus eigensüchtigen Gründen - etwa seines ungehinderten Vorwärtskommen wegen - sich über die ihm bewusste Pflicht hinwegsetzt. Unerheblich ist dabei, ob darauf vertraut wurde, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht kommen werde (bewusste Fahrlässigkeit). Es handelt auch derjenige rücksichtslos, der sich aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten als Fahrer nicht besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise überhaupt nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens darauf losfährt. Die Feststellung dieses Merkmals erfordert den Nachweis, dass gerade im konkreten Tatgeschehen eine insbesondere von Leichtsinn, Eigensucht, Gleichgültigkeit oder unverständliche Nachlässigkeit geprägte üble Verkehrsgesinnung des Täters zum Ausdruck gelangt ist. Gelegentliche Unaufmerksamkeit oder reine Gedankenlosigkeit genügen für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Rücksichtslosigkeit jedoch nicht.

Die Strafkammer kam zu dem Ergebnis, dass A sich zwar durch den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot über die Regeln der StVO hinwegsetzte, er jedoch nicht bewusst oder aus Gleichgültigkeit ggü. anderen Verkehrsteilnehmern handelte. Vielmehr handelte er laut der Kammer aus Unachtsamkeit, wegen seines siebenwöchigen Aufenthaltes in einem Land, in dem das Linksfahrgebot gilt. Nach Auffassung des Gerichts handelte er insoweit zwar fahrlässig, da er sich die Regeln des deutschen Straßenverkehrs vor Fahrtantritt vor Augen habe führen müssen. Ein darüber hinausgehender Vorwurf sei von den Feststellungen aber nicht gedeckt.

Somit hat sich A schließlich nicht wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c I Nr. 2 e, III Nr. 2 StGB strafbar gemacht. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde von dem Gericht jedoch angenommen.


D. In der Prüfung

A. Tatbestand (§ 315c I Nr. 2e, III Nr. 2 StGB)

I. Objektiver Tatbestand

1. Tatsituation: Straßenverkehr

2. Tathandlung

a) Führen eines Fahrzeugs

b) Nichteinhaltung der Rechtsfahrgebotes an unübersichtlichen Stellen

c) Grob verkehrswidrig

3. Konkrete Gefahr

II. Subjektiver Tatbestand

B. Rechtswidrigkeit

C. Schuld

I. Keine Entschuldigungsgründe

II. Bei Fahrlässigkeit: subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Gefährdung

III. Bei § 315c I Nr. 2 zusätzlich: Rücksichtslosigkeit (-)

D. Ergebnis (-)


E. Literaturhinweise

Vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 315c Rn. 13.

 
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