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Entscheidung der Woche 11-2020 (ZR)

Patrick Glatz

Wer vorsätzlich ein Fahrzeug mit einer unzulässigen, weil die Typengenehmigung in Frage stellenden Einrichtung (hier Abgasrückführungsabschalteinrichtung) in den Verkehr bringt und die Softwaremanipulation aus reinem Gewinnstreben verschweigt, handelt sittenwidrig.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: OLG Koblenz – 5 U 1318/18

in: NJW 2019, 2237

 

A. Orientierungssätze

1. Wer vorsätzlich ein Fahrzeug mit einer unzulässigen, weil die Typengenehmigung in Frage stellenden Einrichtung (hier Abgasrückführungsabschalteinrichtung) in den Verkehr bringt und die Softwaremanipulation aus reinem Gewinnstreben verschweigt, handelt sittenwidrig.

2. Überlässt ein Unternehmen wie die Beklagte es Mitarbeitern, die für die Zulassung von Fahrzeugen essentiellen Voraussetzungen für den Erhalt von Typengenehmigungen zu schaffen, ohne dass den Mitarbeitern durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, kann sie sich nicht von ihrer Haftung für deren Handeln freizeichnen. Dann nimmt sie es jedenfalls bedingt vorsätzlich in Kauf, dass dort Entscheidungen von haftungsrechtlicher Relevanz getroffen werden, die aufgrund mangelhafter Organisation zu ihren Lasten gingen. Anderenfalls könnte die Beklagte Manipulationen Tür und Tor öffnen, indem sie bewusst Verantwortungslücken entbzw. bestehen lässt. Insoweit begründet nach der Auffassung des Senates auch das bewusste Organisieren des Nichtwissens eine Zurechnung im Sinne des § 31 BGB.


B. Sachverhalt (verkürzt & vereinfacht)

Die K erwarb von einem Händler im Januar 2014 zu einem Preis von 31.490 € brutto einen VW Sharan 2.0 TDI, dessen Hersteller die B ist. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 20.000 km. Das Fahrzeug war mit einer Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 versehen worden. Eine mit dem Motor in Zusammenhang stehende Software wurde seinerzeit beim Bau in dem Wagen installiert, die in der Lage war zu erkennen, wann der Wagen auf einem Prüfstand zur Emmissionskontrolle stand und war so in der Lage die Abgasrückführung zu aktivieren und so einen stickstoffdioxidarmen Abgasausstoß zu ermöglichen. Bei normalen Fahrten schaltete die Software in einen Modus bei dem der Stickoxid-Ausstoß höher war. Für die Erteilung der Euro 5 Emmissionsklasse war der Stickoxidausstoß maßgeblich. B räumte die Verwendung einer entsprechenden Software ein und unternahm speziell bei K ein Software-Update zu Beseitigung der Abschalteinrichtung im Februar 2017.

B ist empört und will seinen Wagen nicht länger haben. Daher verlangt er von der B den Wagen, Zugum-Zug gegen Erstattung des Kaufpreises, zurückzunehmen.


C. Anmerkungen

Die vielzitierte Entscheidung des OLG Koblenz erging zu einer der vielen VW-Diesel-Abgasklagen und qualifiziert den Einsatz der Abschaltsoftware durch VW als sittenwidrige Schädigung, die VW insbesondere nach § 31 BGB analog zuzurechnen ist. Insbesondere die Täuschung, Sittenwidrigkeit und Zurechnung verdienen in dieser Entscheidung besondere Aufmerksamkeit. Die Täuschung resultiere hier aus dem Eingriff in den Wettbewerb, der sich bis zum Endverbraucher durchziehe. Das Vertrauen des Käufers auf die Einhaltung der emmisionsrechtlichen Vorgaben seitens des Herstellers, die ja gerade Ausdruck in der Typengenehmigung findet, sei hier beeinträchtigt. Der Endverbraucher dürfe auch darauf vertrauen, da der Hersteller ihm gegenüber einen Wissensvorsprung aufgrund seiner Fachkenntnis habe.

Die Sittenwidrigkeit folgt für das OLG Koblenz im Rahmen einer Gesamtschau aus unter anderem der Vielzahl der Getäuschten, dem systematischen Vorgehen, dass durch seine schiere Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge das Kerngeschäft der Beklagten betrifft, sowie dem darin zum Ausdruck kommenden reinen Gewinnstreben.

Zuletzt rechnet das OLG der B auch das Handeln ihrer leitenden Angestellten nach § 31 BGB analog zu. Insbesondere aus der schieren Zahl an systematisch eingebauten und folglich auch entwickelten Abschalteinrichtungen folge, dass es nahezu unmöglich sei, dass leitende Angestellte nicht von jener Kenntnis genommen haben. Dies zusammen mit der Tatsache, dass eine Entscheidung zum Einbau einer solchen Einrichtung eine konzernstrategische Entscheidung sei, die nicht einfach eine Nischenfrage darstelle, bestärke die Annahme, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung von der Abschalteinrichtung wusste. Daher sei davon auszugehen, dass sie den Einbau gebilligt, aber zumindest nicht unterbunden haben. Die Entscheidung erfuhr große Aufmerksamkeit.

Die Revision beim BGH ist anhängig.


D. In der Prüfung

A. Anspruch aus § 826 BGB

I. Schadenszufügung

II. Sittenwidrigkeit (!)

III. Schädigungsvorsatz (!)

1. Vorsatz

2. Zurechnung nach § 31 BGB analog

IV. Rechtsfolge

V. Kein Ausschluss


E. Zur Vertiefung

Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 43. Auflage 2019, § 47 Rn. 1 ff.;

Witt, Der Dieselskandal und seine kauf- und deliktsrechtlichen Folgen, NJW 2019 3681;

Bruns, Aktuelles zur Haftung wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung im Diesel-Skandal, NJW 2019 2211.

 
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