top of page

Entscheidung der Woche 11-2024 (ÖR)

Patricia Moreno Blanco

Nach Art. 19 IV GG hat der Einzelne einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens sind die Gerichte im Vorfeld verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären...

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BVerfG, Beschl. v. 18.12.2023 - 2 BvR 1368/23

Fundstelle: BeckRS 2023, 38553

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

1. Nach Art. 19 IV GG hat der Einzelne einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens sind die Gerichte im Vorfeld verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären und sämtliche Auslieferungshindernisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu prüfen.

2. Bei der Zulässigkeitsprüfung einer Auslieferung müssen die Gerichte prüfen, ob diese gem. Art. 79 III GG i.V.m. Art. 1, 20 GG verfassungsrechtlichen Grundsätze verletzt und den in der BRD verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard gewährt wird.

3. Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz gem. Art. 20 III GG gehört auch die Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK und der Entscheidungen des EGMR.

4. Das persönliche Teilnehmen des Angeklagten am Verfahren ist für ein faires Verfahren von zentraler Relevanz. Unter Umständen ist auch die Teilnahme per Video möglich, dies ist jedoch von dem entsprechenden Gericht unter vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.


B. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und befindet sich derzeit im deutschen Maßregelvollzug. Ein türkisches Gericht erließ einen Haftbefehl gegen ihn wegen des Verdachts, er sei an einer bandenmäßigen Einfuhr von mehreren Kilogramm Kokain aus dem europäischen Ausland in die Türkei beteiligt gewesen. Nachdem die türkischen Behörden Deutschland um die Auslieferung des Beschwerdeführers ersucht hatten, beantragte die zuständige Generalstaatsanwaltschaft Celle im Dezember 2022 die Auslieferungshaft, die sodann durch das OLG Celle angeordnet wurde. Das Auswärtige Amt nahm daraufhin Kontakt zu den türkischen Behörden um sicherzustellen, dass die Haftbedingungen für den Beschwerdeführer den Anforderungen des Art. 3 EMRK (Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung) entsprechen.

Die türkischen Behörden antworteten darauf unter anderem, dass die Unterbringung in einer bestimmten JVA im türkischen Yalvaç vorgesehen sei. Infolgedessen teilte das OLG Celle mit, dass aus früheren Verfahren bekannt sei, dass in dieser JVA inhaftierte Personen bei laufenden Strafverfahren regelmäßig in der Anstalt per Video zugeschaltet würden. Im Fall des Beschwerdeführers würde nach Auslieferung ein Gericht in Izmir entscheiden, das etwa 450 Kilometer von Yalvaç entfernt liegt. Der Beschwerdeführer wandte ein, dass er aufgrund der großen Entfernung des zuständigen Gerichts in Izmir und der JVA in Yalvaç im Falle einer Auslieferung zur Aufgabe seines Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung gezwungen werde.

Nachdem der Beschwerdeführer und die türkischen Behörden sich hierzu geäußert hatten, erließ das OLG Celle Anfang September 2023 einen Auslieferungsbeschluss. Mit der Verfassungsbeschwerde wendete sich der Beschwerdeführer gegen den besagten Auslieferungsbeschluss und beruft sich im Wesentlichen auf eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 IV GG. Bezüglich der Haftbedingungen und der Teilnahme des Beschwerdeführers an der strafgerichtlichen Hauptverhandlung in der Türkei, habe das OLG Celle zudem unzureichend untersucht, ob dies in einer Weise geschieht, welche dem Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 6 EMRK gerecht wird.


C. Anmerkungen

Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde für "offensichtlich begründet". Insbesondere ist nach Auffassung des BVerfG die persönliche Anwesenheit des Beschwerdeführers in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung von zentraler Bedeutung. Das OLG Celle hätte sich zudem vielmehr mit der Frage auseinandersetzen sollen, ob das Anwesenheitsrecht im Strafverfahren nach türkischem Recht konkret ausgestaltet ist und unter welchen Bedingungen Einschränkungen zugelassen sind.

Ferner ist das BVerfG der Auffassung, dass sich das OLG Celle nicht hinreichend mit der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR auseinandergesetzt habe. Dabei habe das OLG Celle bezüglich der Teilnahme an der strafgerichtlichen Hauptverhandlung nicht berücksichtigt, dass dem EMGR zufolge zwischen erstinstanzlichen Strafgerichtsverhandlungen und Rechtsmittelverfahren zu differenzieren ist.

Im Ergebnis hat das BVerfG den Beschluss des OLG Celle aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückgewiesen.


D. In der Prüfung

I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

(P) Verfassungsmäßigkeit der Einzelmaßnahme

Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 IV GG


E. Literaturhinweise

Beschl. v. 18.12.2023, Az. 2 BvR 1368/23; BVerfG: Prüfungsumfang bei Auslieferung, MigRI 2024, 78.

 

bottom of page