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Entscheidung der Woche 12-2023 (ÖR)

Sophia Mustafoska

Macht eine Gemeinde die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung mit umweltpolitischer Zielsetzung davon abhängig, dass die Antragssteller eine Erklärung zu ihrer Religion oder Weltanschauung abgeben, ist dieses Verlangen keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerwG 8 C 9.21

in: NVwZ 2022, 1644

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Macht eine Gemeinde die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung mit umweltpolitischer Zielsetzung davon abhängig, dass die Antragssteller eine Erklärung zu ihrer Religion oder Weltanschauung abgeben, ist dieses Verlangen keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Es verstößt indes gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.


B. Sachverhalt

Die beklagte Landeshauptstadt München erließ im Rahmen des "Integrierten Handlungsprogramms zur Förderung der Elektromobilität in München" die Förderrichtlinie Elektromobilität. Danach konnte unter anderem der Erwerb von Pedelecs durch Gewerbetreibende gefördert werden. Die Klägerin beantragte eine derartige Förderung. Sie legte das von der Beklagten vorgesehene Antragsformular vor, das bis auf Nr. VII vollständig ausgefüllt war. Nr. VII lautet:

„VII. Schutzerklärung in Bezug auf die Lehre von L. Ron Hubbard/Scientology. Nach städtischen Vorgaben ist die Zuwendungsempfängerin/der Zuwendungsempfänger verpflichtet, eine Schutzerklärung in Bezug auf die Lehre von L. Ron Hubbard abzugeben. Mit ihrer/seiner Unterschrift erklärt die Ast./der Ast., dass sie/er keine Inhalte oder Methoden und auch keine Technologie von L. Ron Hubbard anwendet, lehrt oder in sonstiger Weise verbreitet und sie/er keine Kurse oder Seminare nach dieser Technologie besucht.“

Die Beklagte lehnte den Antrag unter Verweis auf die fehlende Abgabe der Schutzerklärung ab.


C. Anmerkungen

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beklagte berechtigterweise zur Erteilung der beantragten Förderung verpflichtet. Dass die Abgabe der Schutzerklärung nicht erfolgte, steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen.

Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Erfordernis einer Abgabe einer weltanschaulichen Erklärung als Voraussetzung für eine Förderzusage den Bereich der gemeindlichen Zuständigkeit überschritten hat und und die Beklagte dadurch unzulässig in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingegriffen hat und außerdem gegen Art. 3 Abs. 1 und 2 GG verstößt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat das Verlangen nach Abgabe der Schutzerklärung zutreffend als eigenständige Maßnahme qualifiziert, die von einer Zuständigkeit der Beklagten hätte gedeckt sein müssen. Die Schutzerklärung findet sich nicht in der Richtlinie, sondern lediglich in dem von den Antragsstellern zu verwendenden Formular. Sie basiert auf "städtischen Vorgaben" und erlegt den Antragsstellern eine spezifische, von den sonstigen Förderbedingungen gänzlich unabhängige Erklärungspflicht auf. Dafür ist eine Verbandskompetenz der Beklagten nicht gegeben.

Die Einforderung von Erklärungen zu Religion und Weltanschauung ist ihr weder durch Gesetz zugewiesen noch handelt es sich dabei um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Eine solche Maßnahme betrifft nicht das Zusammenleben der Gemeindeeinwohner. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts praktiziert die Klägerin die Lehren von Scientology. Hierfür kann sie sich auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Gestalt der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit berufen.

Mit der Schutzerklärung wird ein ausdrückliches Bekenntnis zu den Lehren von Scientology verlangt. Dies stellt eine Verpflichtung zur Offenbarung des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses und damit einen zielgerichteten Eingriff in die negative Bekenntnisfreiheit dar. Zu Recht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass das Verlangen nach der Abgabe der Schutzerklärung und der daran anknüpfende Ausschluss der Förderung nicht mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG im Einklang stehen. Art. 3 Abs. 1 GG fordert nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch einen inneren Zusammenhang zwischen den Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Die Schutzerklärung weist keinen inhaltlichen Bezug zu den umweltpolitischen Zielen der Förderrichtlinie Elektromobilität auf. Außerdem fehlt ein legitimer Sachgrund, da sie auf einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die negative Bekenntnisfreiheit zielt und damit an ein nach Art. 3 Abs. 3 GG grundsätzlich unzulässiges Kriterium anknüpft.


D. In der Prüfung

I. Zulässigkeit

II. Begründetheit

1. Anspruchsgrundlage

2. Zulässigkeit der Schutzerklärung

a) Überschreiten gemeindlicher Zuständigkeit

b) Unvereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG

c) Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1, 3 GG

III. Ergebnis


E. Literaturhinweise

BVerwG, Urt. v. 06.04.2022 - 8 C 9.21, NVwZ 2022, 1644;

BeckRS 2022, 16988

 

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