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Entscheidung der Woche 12-2024 (ZR)

Marie-Christin Runkel

Auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ist ein "Ziehen" im Sinne von § 19 Abs. 4 S. 4 StVG.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGHVI ZR 98/23

Fundstelle: RÜ3/2024 MDR 2024, 105

 

A. Orientierungs - oder Leitsatz

Auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ist ein "Ziehen" im Sinne von § 19 Abs. 4 S. 4 StVG.


B. Sachverhalt

Die Klägerin war Halterin eines Kraftfahrzeugs und hatte dieses mit einem von der Beklagen haftpflichtversicherten und gehaltenen Anhänger verbunden. Die Klägerin fuhr im Jahr 2021 mit diesem Gespann und rangierte den Anhänger beim Rückwärtsfahren gegen ein anderes Fahrzeug. Dabei entstand ein Schaden in Höhe von 930 Euro. Dieser Betrag wurde von der Klägerin an den Geschädigten gezahlt.

Die Klägerin verlangte darauf hin von der Beklagten die Zahlung des hälftigen Gesamtschuldnerausgleichs.


C. Anmerkungen

Aus § 19 Abs. 1 S. 1 StVG lässt sich erst einmal eine Haftung des Halters eines Anhängers herleiten, sofern bei dem Betrieb des Anhängers eine Sache beschädigt wird. Eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten als Halterin des Anhängers und der Klägerin als Halterin des rückwärts fahrenden Fahrzeugs lässt sich wegen der hier erhöhten Betriebsgefahr dem § 19 Abs. 2 S. 1 StVG entnehmen.

Voraussetzung für eine solche gesamtschuldnerische Haftung ist, dass der Schaden durch ein Gespann verursacht wurde. Als solches kann man das Zugfahrzeug mit dem Anhänger zusammen beschreiben. Auch ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Gespanns und der Sachbeschädigung ist gegeben. Fraglich bleibt noch, ob die Rechtsfolge des anteiligen Ausgleichs gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB unter den Schuldnerinnen ohne Weiteres bestehen bliebt oder ob die abweichende Regelung des § 19 Abs. 4 S. 2 StVG einschlägig ist. Dieser regelt im Innenverhältnis zwischen Halterin des Fahrzeugs und derjenigen des Anhängers, dass grundsätzlich nur die Halterin des Fahrzeugs für den Schaden haftet. Eine Rückausnahme dazu ist nach § 19 Abs. 4 S. 3 StVG anzunehmen, sofern sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein. § 19 Abs. 4 S. 4 StVG stellt dazu fest, dass das Ziehen des Anhängers allein im Regelfall keine höhere Gefahr verwirklicht.

Das Amtsgericht Hannover hatte die Beklagte zur Zahlung des gesamtschuldnerischen Ausgleichs verurteilt. Im Rahmen der Berufung änderte das Landgericht dieses Urteil ab und hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin argumentierte, dass das "Ziehen" begrifflich eine Bewegung nach vorn meine und in dem rückwärts Fahren gerade keine solche Handlung liege.

Im Revisionsverfahren stellte der BGH fest, dass § 19 Abs. 1 StVG unabhängig von der Richtung in die das Gespann fährt, jede Bewegung des Anhängers erfasse. Es komme auf die abstrakte Bestimmung an, prinzipiell an ein Kraftfahrzeug angehängt zu werden.

Die alte Fassung des StVG enthielt die Formulierung "dazu bestimmt ist, mitgeführt zu werden". Diese wurde abgeändert zu den Worten "gezogen werden". Allerdings habe der Gesetzgeber dadurch ausdrücklich keine inhaltliche Änderung des Begriffs bezweckt. Daher ist die Ausnahme der gesamtschuldnerischen Haftung aus § 19 Abs. 4 S. 2 StVG einschlägig und die Klägerin ist als Halterin des Zugfahrzeugs allein verpflichtet.

Es ergibt sich folglich kein Ausgleichsanspruch gegen die beklagte Halterin des Anhängers aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB.


D. In der Prüfung

§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB

I. Gesamtschuldnerschaft gem. § 19 Abs. 2 S. 1 StVG

1. Haftung der Beklagten aus § 19 Abs. 1 S. 1 StVG

a. Sachbeschädigung

b. Durch ein Gespann

c. Realisierung der Betriebsgefahr

2. Beklagte ist Halterin des Anhängers

3. Klägerin ist Halterin des Zugfahrzeugs

II. Rechtsfolge

(P) Ausnahme gemäß § 19 Abs. 4 S. 2 StVG


§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB

I. Gesamtschuldverhältnis

II. Rechtsfolge

(P) Anspruchsübergang nur in dem Umfang, in dem nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB Ausgleich verlangt werden kann.


E. Literaturhinweise

Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl. 2024, § 19 Rn. 26 ff.

 

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