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Entscheidung der Woche 13-2023 (ZR)

Anika Brämer

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, “unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände”.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: LAG Nürnberg vom 13.12.2022 - 7 Sa 168/22, juris

in: BeckRS 2022, 44228

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, “unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände”.


B. Sachverhalt

Die Beklagte ist Herstellerin von Modellautos im Maßstab 1:87 mit 100 bis 150 Einzelteilen. Sie schrieb eine Stelle für einen Bestücker (m/w/d) für Digitaldruckmaschinen aus. Die Stellenausschreibung enthielt ua. die Anforderungen Fingerfertigkeit und Geschick, da die Teile sehr klein sind und teilweise mit Hilfe von Pinzetten positioniert werden müssen. Daraufhin bewarb sich der Kläger am 19.04.2021 um die Stelle. Er erhielt jedoch noch am selben Tag eine Absage mit folgender Begründung: "Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht in Frage kommen." Der Kläger verlangt nun Zahlung einer angemessenen Entschädigung.


C. Anmerkungen

Arbeitsrechtliche Fälle spielen im Examen immer mal wieder eine Rolle. Dieser kleine Fall beschäftigt sich mit einem Anspruch aus dem AGG, der auf Grund des Fokus auf den allgemeinen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des BGB gern einmal übersehen werden kann. Für eine Examensklausur allein reicht der Fall sicher nicht aus, kann aber durchaus im Rahmen einer Abwandlung eine Rolle spielen, zum Beispiel in Kombination mit der sehr relevanten Kündigungsschutzklage. Zudem bietet der Sachverhalt Anlass, sich noch einmal die Struktur des AGG vor Augen zu führen, da der Kontext in der Examensvorbereitung oft eher stiefmütterlich behandelt wird. Unbedingt kennen sollte man auch den § 22 AGG als besondere Beweislastregel.

Das LAG Nürnberg ging wie auch schon die Vorinstanz davon aus, dass ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG besteht, da eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts vorliegt. Der Arbeitgeber argumentierte, mit der Formulierung "flinke Frauenhände" sei es darum gegangen, die Bedeutung kleiner Hände und feingliedriger Finger für die Arbeit als Bestücker der Digitaldruckmaschinen der Beklagten zu verdeutlichen. Selbst wenn man aber entgegen des klaren Wortlautes des Schreibens annehmen will, dass sich aus dem Schreiben an sich noch keine unmittelbare Benachteiligung ergibt, so hat es jedenfalls den Charakter einer Indiztatsache iSd § 22 AGG.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung wegen des Geschlechts stattgefunden hat, lag daher bei der Beklagten. Mangels ausreichenden Vortrages der Beklagten diesbezüglich bejahte das LAG eine unmittelbare Benachteiligung. Die Gelegenheit, mittels Probearbeit nachzuweisen, dass der Kläger zu der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten willens und in der Lage ist, wurde ihm nicht gegeben, eben weil er ein Mann war. Auf eine Rechtfertigung aufgrund beruflicher Anforderungen gem. § 8 AGG ging das Gericht nicht ein. Dies sollte man in der Klausur auf jeden Fall ansprechen. Allerdings sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass nur Frauen in der Lage sind, die Maschinen zu bestücken. Zum einen müssen Fingerfertigkeit und Größe der Hände nicht im Zusammenhang stehen. Zum anderen kann es auch Frauen mit großen und Männer mit kleineren Händen geben. Weiterhin ist § 8 AGG sehr restriktiv auszulegen. Eine Rechtfertigung iSd § 8 AGG sollte daher abgelehnt werden. Entgegen der Behauptung der Beklagten lagen auch keine Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Bewerbung vor. Ein Verschulden ist für die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG im Gegensatz zum Schadensersatz nicht erforderlich. Das Gericht hielt auf der Rechtsfolgenseite eine Entschädigung iHv 2.500 Euro, d.h. dem 1,5-fachen des auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsgehaltes, für angemessen.


D. In der Prüfung

§ 15 Abs. 2 AGG

I. Anwendungsbereich des AGG

1. Persönlicher Anwendungsbereich (§ 6 AGG)

2. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2 AGG)

II. Verstoß gegen Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG)

1. (P) Unmittelbare Benachteiligung iSd § 3 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmales (hier: Geschlecht)

2. jedenfalls: Beweislast bei der Beklagten (§ 22 AGG)

3. (P) Rechtfertigung der Benachteiligung gem. § 8 Abs. 1 AGG

4. Rechtsmissbräuchliche Bewerbung iSd § 242 BGB?

III. Rechtsfolge


E. Literaturhinweise

Jacobs, Grundprobleme des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG, RdA 2009, 193-204;

Zum Klassiker-Problem AGG-Hopping:

Schiefer/Worzalla, Freie Fahrt für AGG-Hopper?, DB 2017, 1207-1211;

Zur Diskriminierung aufgrund des Geschlechts:

BAG, Urt. v. 18.09.2014 - 8 AZR 753/13, BB 2015, 506-509 13

 
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