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Entscheidung der Woche 14-2024 (ÖR)

Jasmin Wulf

Die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, stellt eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: EuGH, Urt. v. 18. Juni 2019, Rs. C-591 / 17

Fundstelle: https:/ /eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF / ?uri=CELEX:62017CJ0591

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, stellt eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs.

2. Die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt und damit einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bedeutet.


B. Sachverhalt

Bereits 2015 hat Deutschland den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infrastrukturabgabe geschaffen, d. h. einer Abgabe für die Benutzung der Bundesfernstraßen einschließlich der Autobahnen durch Personenkraftwagen. Mit dieser Abgabe wollte Deutschland teilweise von einem System der Steuerfinanzierung zu einem auf das „Benutzerprinzip“ und das „Verursacherprinzip“ gestützten Finanzierungssystem übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollten zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden und ihre Höhe sollte sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs bemessen.

Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen hatten nach den Plänen die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 Euro zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge sollte die Abgabe nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten sein. Insoweit sollte eine Zehntagesvignette (von 2,50 bis 25 Euro), eine Zweimonatsvignetten (von 7 bis 50 Euro) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 Euro) verfügbar sein. Parallel dazu hatte Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infrastrukturabgabe eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe zukommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten müssten.

Österreich hat dagegen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Vertragsverletzungsklage gem. Art. 259 AEUV eingereicht.


C. Anmerkungen

Der EuGH hat entschieden, dass die Infrastrukturabgabe in der durch Deutschland vorgesehenen Form gegen den freien Warenverkehr gem. Art. 34 AEUV sowie gegen den freien Dienstleistungsverkehr gem. Art. 56 AEUV verstößt.

Das in Art. 34 AEUV aufgestellte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen erfasst nach ständiger Rechtsprechung jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern. Die streitigen nationalen Maßnahmen sind geeignet, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe, der tatsächlich nur die Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, ist nämlich geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen, und beeinträchtigt damit deren Wettbewerbsfähigkeit, obwohl sich die Abgabe nicht direkt auf Waren bezieht. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind solche nationalen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen. Auch dies liegt hier vor. Die Infrastrukturabgabe kann nämlich aufgrund der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die Teil der streitigen nationalen Maßnahmen ist, entweder die Kosten der Dienstleistungen erhöhen, die von diesen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden, oder die Kosten erhöhen, die sich für diese Dienstleistungsempfänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

Durch die Steuerentlastung würde es eine faktische Befreiung nur der Halter in Deutschland geben, die im Gegensatz zu den Haltern anderer Mitgliedstaaten zumeist auch deutscher Staatsangehörigkeit sind, sodass auch ein Verstoß gegen Art. 18 AEUV vorliegt.


D. In der Prüfung

Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258, 259 AEUV

A. Zulässigkeit

B. Begründetheit: Verstoß gegen Unionsrecht

1. Verstoß gegen Art. 34 AEUV

2. Verstoß gegen Art. 56 AEUV

3. Verstoß gegen Art. 18 AEUV


E. Literaturhinweise

Korte/Gurreck, Die europarechtliche Zulässigkeit der sog. Pkw-Maut, EuR 2014, 420; Pracht, Primärrechtswidrigkeit der PKW-Maut, ZJS 2019, 425

 
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