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Entscheidung der Woche 15-2020 (SR)

Laura Schlunk

Der Rücktrittshorizont bei einer versuchten Straftat kann nachträglich korrigiert werden, wenn der Täter nach Durchführung der Tathandlung zunächst den Erfolgseintritt für möglich hält, dann aber erkennt, dass er sich geirrt hat.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 2 StR 340/19

in: BeckRS 2019, 36898

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Der Rücktrittshorizont bei einer versuchten Straftat kann nachträglich korrigiert werden, wenn der Täter nach Durchführung der Tathandlung zunächst den Erfolgseintritt für möglich hält, dann aber erkennt, dass er sich geirrt hat. Dann kann er durch die Abstandnahme von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten.


B. Sachverhalt

A hatte sich mit N über dessen bevorstehende Hochzeit mit seiner Tochter gestritten. Er besorgte sich eine Pistole mit vier Schuss und ein Luftgewehr. Bei einem Treffen in einer Moschee bat er N nach draußen. Dieser weigerte sich an einen ruhigeren Ort zu gehen. Mit der Absicht, N zu töten, zog A seine Waffe. Zwei Schüsse trafen N in den Bauch, zwei gingen fehl. A gab weitere Schüsse mit dem Luftgewehr ab, während N versuchte zu fliehen. Zunächst wendete sich A ab, bevor er umkehrte und dem N hinterherrief, dass er noch nicht mit ihm fertig sei.

Hat sich A wegen versuchten Mordes strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

A wurde wegen versuchten Mordes aus niederen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 1 Var. 4, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 52 Abs. 1 StGB verurteilt. Das LG begründete seine Entscheidung damit, dass A seine Munition verbraucht und keine Luftschüsse abgegeben habe. Das Luftgewehr sei zum Beenden des Versuches ungeeignet gewesen. Ein freiwilliger Rücktritt war nicht möglich, da A von einer tödlichen Verletzung des N überzeugt gewesen sei.

Der BGH kritisierte, dass ein korrigierter Rücktritthorizont nicht in Betracht gezogen wurde. Bei der Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch komme es darauf an, ob der Täter den Erfolg weiterhin für möglich hält und wie er die verursachte Gefährdung des Opfers einschätze. Daraus ergäben sich die notwendigen Rücktrittshandlungen.

Ein beendeter Versuch setze insoweit eine Verhinderungskausalität bzw. ein ernsthaftes Bemühen (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, S. 2 StGB) voraus, während bei einem unbeendeten Versuch die bloße Aufgabe der Tat genüge (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts und damit der Anforderungen an die Rücktrittshandlung sei möglich, wenn der Täter den Eintritt des Erfolges zwar zunächst für möglich hält, dann aber unmittelbar seinen Irrtum erkenne.

A entfernte sich zunächst und rief dann, dass er noch nicht „fertig“ sei. Dies spreche gegen die Annahme, dass er von einer tödlichen Verletzung und damit von einem bereits beendeten Mordversuch ausging. Vielmehr könne hier eine Korrektur des Rücktrittshorizonts vorliegen, wonach A nicht mehr der Ansicht war, bereits das zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche getan zu haben. Hierfür spreche auch, dass A weiter mit dem Luftgewehr auf N feuerte und dieser für A gut sichtbar wegrannte.

Das LG hätte daher einen strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch durch bloße Aufgabe der Tat nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB in Betracht ziehen müssen.


D. In der Prüfung

I. Vorprüfung

II. Tatbestandsmäßigkeit

III. Rechtswidrigkeit

IV. Schuld

V. Rücktritt, § 24 StGB

1. Kein Fehlschlag

2. Beendeter/Unbeendeter Versuch

3. Freiwilligkeit


E. Zur Vertiefung

Zur Wiederholung des Rücktritts vom Versuch und der Korrektur des Rücktritthorizonts:

Hoffmann-Holland in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Aufl. 2017, § 24 Rn. 72-76.

 
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