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Entscheidung der Woche 15-2023 (ÖR)

Patrick Semrau

Werden gespeicherte Datenbestände mittels einer automatisierten Anwendung zur Datenanalyse oder -auswertung verarbeitet, greift dies in die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) aller ein, deren Daten bei diesem Vorgang personenbezogen Verwendung finden.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerfG - 1 BvR 1547/19 -BVerfG - 1 BvR 2634/20 -

In: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/02/rs20230216_1bvr154719.html

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Werden gespeicherte Datenbeständemittels einerautomatisierten Anwendung zur Datenanalyse oder -auswertungverarbeitet, greift dies in die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) aller ein, deren Daten bei diesem Vorgang personenbezogen Verwendung finden.

2. Das Eingriffsgewicht einer automatisierten Datenanalyse oder -auswertung und die Anforderungen an deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung ergeben sich zum einen aus dem Gewicht der vorausgegangenen Datenerhebungseingriffe; insoweit gelten die Grundsätzeder Zweckbindung und Zweckänderung. Zum andern hat die automatisierte Datenanalyse oder -auswertung ein Eigengewicht, weil die weitere Verarbeitung durch eine automatisierte Datenanalyse oder -auswertungspezifische Belastungseffekte haben kann, die über das Eingriffsgewicht der ursprünglichen Erhebung hinausgehen; insoweit ergeben sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne weitergehende Rechtfertigungsanforderungen.


B. Sachverhalt

Hessen und Hamburg haben in § 25a HSOG und § 49 HmbPolDVG polizeirechtliche Vorschriften zur Datenanalyzse, bzw. -auswertung geschaffen. Danach sollen gespeicherte Datenbestände mittels automatisierter Systeme verarbeitet werden. Die Vorschriften berechtigen die Polizei zum einen in begründeten Einzelfällen zur vorbeugenden Bekämpfung schwerer Straftaten iSv. § 100a Abs. 2 StPO oder zur Abwehr von Gefahren für bestimmte Rechtsgüter tätig zu werden. Auf diese Weise können nach Absatz 2 der jeweiligen Landesregelung umfassende Informationen, zwischen Personen, Gruppen, Sachverhalten und weiteren Merkmalen ausgewertet und in Zusammenhänge gestellt werden Die Beschwerdeführenden sehen sich hierdurch in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem APR gem. Art.2 Abs. 1 iVm. Art 1 Abs. 1 GG verletzt.


C. Anmerkungen

Die Verarbeitung von Datenbeständen mittels automatisierter Anwendungen zur Datenanalyse oder -auswertung greift in die infomationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art.1 Abs. 1 GG all jener ein, deren Daten verwendet werden. Das Eingriffsgewicht ergibt sich aus dem Gewicht der vorherigen Datenerhebungseingriffe, für die die Grundsätze der Zweckbindung und Zweckänderung gelten und aus dem Eigengewicht der automatisierten Datenauswertung. Die Erhebung der Daten kann unterschiedliches Gewicht haben. Sollen die aus anderem Anlass erhobenen Daten weiterverwendet werden, bemisst sich dies an den ursprünglich berührten Grundrechten. So sind Daten aus Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung auch iRd. Datenauswertung besonders zu schützen. Werden die Daten nicht zum ursprünglichen Erhebungszweck weiterverwendet (Zweckbindung), dann bemisst sich die zulässige Verwendung an einer hypothetischen Neuerhebung (Zweckänderung).

Neben der Datenerhebung hat auch die automatisierte Datenverarbeitung und damit Auswertung ein Eigengewicht. Dies entsteht durch die Schaffung neuen Wissens und ist umso höher, je mehr persönlichkeitsrelevantes Wissen geschaffen wird, etwa bis zu Verhaltensprofilen. Je weniger die Erkenntnis auch durch menschliche Arbeit erfolgenkönnte, desto intensiver der Eingriff. Hieran bemisst sich die Verhältnismäßigkeit der Rechtfertigung des Eingriffs, je höher das Eingriffsgewicht, desto höher muss auch die Eingriffsschwelle angesetzt werden.

Die Intensität des zu rechtfertigenden Eingriffs variiert je nach Art und Umfang der verarbeiteten Daten und der zugelassenen Datenauswertungen und kann somit gesetzlich verschieden ausgestaltet werden. Wird ein schwerwiegender Eingriff in das RIS ermöglicht, ist dies nur unter den engen Voraussetzungen für eingriffsintensive heimliche Überwachungsmaßnahmen zulässig, also nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter, sofern für diese eine zumindest hinreichend konkretisierte Gefahr besteht. Ein Verzicht auf eine hinreichend konkretisierte Gefahr ist nur zulässig, wenn durch die zugelassenen Ausweitungsmöglichkeiten und Art und Umfang der verwendeten Daten so normenklar und hinreichend bestimmt begrenzt sind, dass das Eingriffsgewicht erheblich gemindert ist. Zu den einzelnen eingriffsmindernden und -verstärkenden Maßnahmen, führt das Gericht ausführlich aus und gibt so eine Richtschnur für künftige Gesetzesvorhaben.

Daran gemessen sehen die Regelungen aus Hessen und Hamburg im Bereich der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung, für die schwere der Datenverarbeitungseingriffe keine hinreichende Eingriffsschwelle vor und sind so unangemessen und insgesamt unverhältnismäßig und verfassungswidrig.


D. In derPrüfung

I.Zulässigkeit

II.Begründetheit

1. Grundrechtseingriff in APR aus Art. 2 Abs. 1 GG Art. 1 Abs. 1 GG

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsanforderungen

a) Grundsätze der Zweckbindung und Zweckänderung

b) Weitergehende befugnisspezif. Rechtfertigungsanforderungen

aa) Potentielles Eigengewicht der automatisierten Datenanalyse

bb) Generelle Maßstäbe

cc) Konkrete Anforderungen Eingriffsgewicht u. -anforderungen

III. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Eifert, Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch erkennungsdienstliche Maßnahmen, JURA 2023, 552 (552);

Ruschemeierin: Hahn/Petras/Valentiner/Wienfort, Grundrechte, 1. Auflage 2022, § 24.3

 
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