Entscheidung der Woche 14-2025 (ZR)

Anastasia Hondronikos
Der Geschädigte kann einen adäquat kausal unfallbedingten und nach § 842 BGB, § 11 StVG zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur Arbeit geht.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH VI ZR 250/22
Fundstelle: NJW 2025, 292
A. Orientierungs - oder Leitsätze
Der Geschädigte kann einen adäquat kausal unfallbedingten und nach § 842 BGB, § 11 StVG zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur
Arbeit geht.
B. Sachverhalt
Der Kläger ist am 8. Mai 2019 während seiner Arbeit in einer Waschanlage durch das Fahrzeug der Beklagten erfasst und eingeklemmt worden. Hierbei erlitt der Kläger eine Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Wegen des Unfalls befand sich der Kläger vom 8. bis 22. Mai 2019 und vom 26. bis 27. August 2019 in stationärer Behandlung. Laut einer fachärztlichen Bescheinigung vom 17. August 2020 war der Beklagte durch die offene Wunde des Unterschenkels vom 8. Mai 2019 bis
voraussichtlich zum 14. September 2020 arbeitsunfähig. Der Kläger macht die Differenz zwischen seinem letzten monatlichen Gehalt und dem Krankengeld in Höhe von 2.257,44 Euro nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zinsen mit seiner Klage geltend. Hierbei begründet er, dass es sich um den Fehler des Arztes handle, welchen er nicht zu vertreten habe und vom Risikobereich des Schädigers gedeckt werden müsse.
C. Anmerkungen
Der BGH stellt fest, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch eines Ersatzes des Verdienstausfalls vom 6. September 2019 bis zum 14. September 2020 mit den Begründungen des Berufungsgerichtes nicht abgelehnt werden kann.
Der § 842 BGB, § 11 StVG bezieht sich auf die Verpflichtung zum Schadensersatz auf die Vermögensnachteile, die der Geschädigte durch seine Aufhebung der Erwerbsfähigkeit erleidet. Die Feststellung des Berufungsgerichtes, dass der Kläger ab dem 6. September 2019 wieder arbeitsfähig war, wird nicht angegriffen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes wird vom BGH vertreten, dass der Anspruch des Klägers auf Ersatz des Verdienstausfalls auch bestehen würde, wenn dieser sich durch die ärztliche Bescheinigung als arbeitsunfähig sah, obwohl er objektiv arbeitsfähig war. Hierbei ist Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeit zu nehmen. Eine ärztliche Prognose ist
insbesondere erforderlich, um zu beurteilen, ob durch die Wiederaufnahme der Arbeitskraft die Heilung verzögert oder verhindert werden könnte. Geschädigte sind demnach in vielen Fällen auf eine ärztliche Einschätzung angewiesen.
Weiter führt der BGH an, dass der Geschädigte arbeitsrechtlich dazu verpflichtet ist Handlungen zu unterlassen, die seine Heilung verzögern. Es liegt ein pflichtwidriges Handeln vor, wenn er die Genesung durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet.
Auch schadensersatzrechtlich gem. § 254 BGB hat der Geschädigte alles zu unterlassen, was eine Genesung gefährdet. Ein Handeln gegen den ärztlichen Rat könnte ein Verstoß gegen seine Schadensminderungsobliegenheit darstellen. Der Auffassung des Berufungsgerichtes, dass dies zu einer uferlosen Ausdehnung von Schadensersatzpflichten führen würde widerspricht der BGH. Der medizinische Grund muss unfallbedingt sein, was der Geschädigte auch beweisen muss. Ein berechtigtes Vertrauen liegt nur vor, wenn der Geschädigte den Arzt vollständig und zutreffend über sein Empfinden der gesundheitlichen Beeinträchtigungen informiert hat. Das ärztliche
Verfahren muss so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass seine Arbeitsunfähigkeit inhaltlich zutreffend ist. Im Falle eines vorhandenen berechtigten Vertrauen des Geschädigten wäre der Anspruch auf den Verdienstausfall für den Zeitpunkt vom 6. September 2019 bis zum 14. September 2020 zutreffend. Ob bei dem Geschädigten ein berechtigtes Vertrauen vorliegt ist noch zu beurteilen.
Das Berufungsgericht hat keine Feststellung darüber getroffen, ob der Geschädigte auf die ärztliche Bescheinigung vertrauen durfte. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuweisen.
Durch das Urteil wird deutlich, dass der Geschädigte auf die Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertrauen darf, wenn dieser die Unrichtigkeit der Bescheinigung nicht erkennen kann.
D. In der Prüfung
§§ 249 f., 842 BGB, § 11 StVG
I. Rechtsgutsverletzung
II. Erwerbsschaden
(P) objektive Arbeitsfähigkeit, berechtigtes Vertrauen
III. Arbeitskraft als solche
E. Literaturhinweise
Wagner in MüKoBGB, §842 Rn. 13-18
BGH NJW 2025, 292