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Entscheidung der Woche 16-2024 (SR)

Monika Möller

Das Veranlassen der Tat eines Kindes ist nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGH 5 StR 200/23

Fundstelle: NJW 2024, 604; BeckRS 2023, 36742

 

A. Orientierungs - und Leitsätze (der Redaktion)

1. Anstiftung eines Strafunmündigen.

2. Das Veranlassen der Tat eines Kindes ist nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Bei der einzelfallbezogenen Bewertung des Gesamtgeschehens ist von besonderer Bedeutung, inwieweit der Strafunmündige nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der ihm angetragenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

3. Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, kann bereits dessen Beeinflussung ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestands sein; die Einwirkung auf den Tatmittler ist jedoch bloße Vorbereitungshandlung, wenn sie erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet.


B. Sachverhalt

Der T forderte seinen 11-jährigen Neffen S auf, seine Mutter zu töten. Er solle abends, wenn die Mutter im Bett liege und schlafe, ein scharfes Messer aus der Küche holen und sie töten. Er zeigte dem S außerdem ein Video, auf dem ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgaben erfolgten nicht. S sollte vielmehr eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit die Tat begehen. Zudem erklärte T dem S, dass dieser noch klein sei und anders als der T daher nicht bestraft werden und ins Gefängnis kommen könne. T versprach dem S Belohnungen, wie Süßigkeiten und Spielsachen. S ging zum Schein darauf ein aus Angst, seine Mutter sonst nicht wiedersehen zu dürfen. Die Mutter M des T lebte aus Angst vor sexuellen Übergriffen ihres Ehemanns, der gleichzeitig auch Vater des S und Bruder des T ist, in einem Frauenhaus. Das Vorhaben scheiterte, da M das Frauenhaus mit unbekanntem Aufenthalt verlassen hatte. Später vertraute sich S der M an.


C. Anmerkungen

Das LG verurteilte T u.a. wegen versuchten Mordes. Auf die Revision des Angekl. wurde dieses Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angekl. im Fall 1 der Anklage der versuchten Anstiftung zum Mord schuldig ist. Die getroffenen Feststellungen hätten den Schuldspruch wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft nicht getragen sondern vielmehr eine versuchte Anstiftung. Der BGH hat sich also in diesem Fall umfassend mit der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in Bezug auf einen Strafunmündigen sowie mit dem Unmittelbaren Ansetzen auseinandergesetzt.

In mittelbarer Täterschaft handelt, wer die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft inne hat, das Geschehen also mit steuerndem Willen in den Händen hält. Nach Auffassung des Senats ist das Veranlassen der Tat eines Kindes nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist im Einzelfall durch wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens zu ermitteln. Von besonderer Bedeutung ist dabei, inwieweit der Strafunmündige nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der ihm angetragenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ein dahingehendes Defizit begründet regelmäßig Steuerungsmacht und damit Tatherrschaft des Bestimmenden. Das Bestehen eines solchen Defizits mag zwar durch das kindliche Alter indiziert sein. Im Einzelfall ist allerdings, etwa aufgrund der Reife des Kindes, der Modalitäten seiner Beeinflussung oder der Offenkundigkeit des Tatunrechts, eine andere Bewertung möglich.

Dem T kommt laut BGH nach dem von ihm vorgestellten Tatablauf keine Tatherrschaft zu. Er hat gerade nicht an der Reife des S zur Einsicht in das augenfällige Unrecht der Tat – Tötung der eigenen Mutter – gezweifelt. Denn er versuchte nicht, dem Kind das Unrecht der Tat zu verschleiern, sondern legte es vielmehr offen, indem er erklärte, dass er selbst bei Begehung der Tat ins Gefängnis käme. Auch sonst begründete der kurze Kontakt mit dem Kind keinen steuernden Einfluss des T auf das weitere Geschehen. Insbesondere aufgrund des in ungewisser Zukunft liegenden Tatzeitpunkts, der unklaren Einzelheiten der Tatausführung sowie des unbekannten Ortes, an dem er keinerlei Einfluss ausüben konnte.

Die Feststellungen des LG belegen zudem nicht, dass der Angekl.  zur Tötung seiner Schwägerin unmittelbar angesetzt hat. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB) erfordert, dass der Täter eine Handlung vornimmt, die nach dem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll. Dies kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt. Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, kann bereits dessen Beeinflussung ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestands sein. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat und ihn in der Vorstellung entlässt, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem zeitlichen Zusammenhang vornehmen. Die Einwirkung auf den Tatmittler ist hingegen bloße Vorbereitungshandlung, wenn sie erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet. In diesen Fällen der Verzögerung oder Ungewissheit der Tatausführung durch den Tatmittler beginnt der Versuch erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestands ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist mithin, ob nach dem Tatplan die Handlungen des Täters schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann, oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers überlassen bleibt.

An diesen Maßstäben gemessen setzte der T durch die Beeinflussung seines Neffen noch nicht zur Tötung unmittelbar an. Nach seinem Tatplan sollte der Junge erst in einigen Tagen zu seiner Mutter zurückkehren und die Tat auch dann nicht notwendig sogleich begehen. Die Wahl des Tatzeitpunkts überließ er vielmehr dem Kind. Wann es zur Tatbegehung kommen würde, war daher ungewiss. Bei objektiver Bewertung des vom Angekl. vorgestellten Geschehensablaufs hatte sich die Gefahr für das geschützte Rechtsgut zum Zeitpunkt der Beendigung der Einwirkung auf das Kind noch nicht in einer Weise konkretisiert, dass sich ein Schaden unmittelbar anschließen konnte.

Die Feststellungen des LG tragen indes eine versuchte Anstiftung zum Totschlag. T hatte nämlich Tatentschluss bzgl. der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat und auch bzgl. des Bestimmens. Denn es spricht gerade für einen Bestimmervorsatz, dass die Anstiftung materiell subsidiär zur mittelbaren Täterschaft ist und der S tatsächlich zur Tat motiviert werden sollte.  Zudem hat T auch unmittelbar zur Anstiftung angesetzt, indem er S gesagt hat, er solle die M mit einem Messer erstechen. Denn damit hat er die Schwelle zum jetzt gehts los hinsichtlich der Veranlassung überschritten und zur Begründung der Tatmotivation beim S braucht es keine wesentlichen Zwischenschritte mehr.


D. In der Prüfung

A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 I Alt. 2 StGB

I. Vorprüfung

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

a) Bzgl. des Todes

b) Bzgl. der Begehung als mittelbarer Täter

aa) Strafbarkeitsdefizit des Vordermannes

bb) Beherrschung durch den Hintermann

2. Unmittelbares Ansetzen

II. Ergebnis

B. Strafbarkeit gem. §§ 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 212 Abs. 1 StGB

I. Vorprüfung

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

a) Bzgl. der vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat

b) Bzgl. des Bestimmens

2. Unmittelbares Ansetzen

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

IV. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Müko/Joecks/Scheinfeld StGB §§ 25, 26; Rengier, StrafR AT, 15. Auflage 2023, § 41.

 
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