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Entscheidung der Woche 17-2024 (ÖR)

Charlotte Turzynski

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gibt nicht vor, wer Träger des Elterngrundrechts und Inhaber der Elternverantwortung sind und auch keine zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung benötigten Handlungsmöglichkeiten. Diese sind durch den Gesetzgeber auszugestalten, welcher dabei das Elternrecht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beachten muss.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BVerfG, Urt. v. 09.04.2024 - 1 BvR 2017 / 21

Fundstelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/04/rs20240409_1bvr201721.html

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze (gekürzt)

1. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gibt nicht vor, wer Träger des Elterngrundrechts und Inhaber der Elternverantwortung sind und auch keine zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung benötigten Handlungsmöglichkeiten. Diese sind durch den Gesetzgeber auszugestalten, welcher dabei das Elternrecht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beachten muss.

2. Im Rahmen seiner Ausgestaltungspflicht kann der Gesetzgeber die Festlegung derjenigen Personen, die Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind, durch eine entsprechende Zuordnung im Fachrecht begründen. Unabhängig davon sind die leiblichen Eltern eines Kindes Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

3. Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG muss es grundsätzlich möglich sein, Elternverantwortung für ihre Kinder erhalten und ausüben zu können. Das gibt nicht zwingend vor, das Innehaben von Elternverantwortung und das Elterngrundrechts von vornherein auf zwei Elternteile zu beschränken.

4. Sieht der Gesetzgeber im Rahmen seiner Ausgestaltungspflicht eine rechtliche Elternschaft von drei Elternteilen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vor, ist er nicht gehalten, allen diesen Elternteilen gleiche Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind einzuräumen.

5. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert einem leiblichen Vater die Möglichkeit, auch rechtlicher Vater seines Kindes zu werden. Schließt das Fachrecht eine rechtliche Vaterschaft von mehr als einem Vater aus, muss dem leiblichen Vater ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, um diese zu erlangen.


B. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist leiblicher Vater eines 2020 nichtehelich geborenen Kindes. Er und die Mutter des Kindes führten zu diesem Zeitpunkt eine Beziehung und lebten zusammen in einem Haushalt.Sie trennten sich, der Beschwerdeführer hatte aber weiterhin Umgang mit dem Kind, während die Mutter sich in einer neuen Beziehung befand. Der Beschwerdeführer stellte einen Antrag auf rechtliche Vaterschaft, welche ihm nicht anerkannt wurde. Diese erlangte stattdessen der neue Partner der Mutter. Der Beschwerdeführer musste die Vaterschaft gerichtlich anfechten, scheiterte aber vor dem Oberlandesgericht Naumburg aufgrund der inzwischen bestehenden sozial-familiären Beziehung des neuen Partners der Mutter und rechtlichen Vaters des Kindes. Der Beschwerdeführer legte dagegen Verfassungsbeschwerde ein.


C. Anmerkungen

Der Ausschluss des leiblichen Vaters in der Mitsprache und Erziehung des Kindes aufgrund fehlender rechtlicher Vaterschaft stellt im konkreten Fall eine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 GG des leiblichen Vaters dar. Aufgrund der bereits bestehenden engen sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dessen rechtlichen Vater war der leibliche Vater von jeder Mitbestimmung ausgeschlossen, obwohl er sich stets um die Vaterschaft bemühte und von Anfang an durch das Handeln der Mutter nicht die Chance hatte mit dem Kind eine Beziehung aufzubauen.

Laut dem BVerfG ist § 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar, da die Vorschrift leibliche Väter in ihrem Elternrecht verletzt. Das Grundrecht stehe leiblichen Vätern auch zu, wenn sie nicht rechtliche Väter seien, was nicht hinreichend berücksichtigt wird. Dies stellt eine verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Einschränkung des Elternrechts dar. Die momentane Regelung sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und bedarf einer Reform.

Das BVerfG entschied entgegen seiner vorherigen Rechtsprechung, dass in machen Fällen mehr als zwei Personen Träger der Elterngrundrechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sein können. Es betont aber weiterhin den Spielraum des Gesetzgebers, gleichzeitig aber wird darauf hingewiesen, dass wenn er weiterhin eine Beschränkung des Elternrechts auf zwei Personen beibehält, die Elternschaft sich grundsätzlich auf die Abstammung stützen sollte. Ausgedrückt wird aber auch, dass wenn sich die Elternschaft auf mehr als zwei Personen erstrecken sollte, der Gesetzgeber nicht geboten ist jeden Elternteil die gleichen Rechte und Pflichten aufzuerlegen, sondern das sie im Umfang voneinander abweichen können. Er sei aber trotzdem an die prägenden Strukturmerkmale des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebunden, in welchem Eltern die leiblichen Eltern des Kindes beschreibt. Gleichwohl soll aber auch das Wohl des Kindes gewährleistet werden, damit auch dessen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG sichergestellt ist.


D. In der Prüfung

Urteilsverfassungsbeschwerde

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

(P) Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG


E. Literaturhinweise

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/1bvr201721-bverfg-vaterschaft-kinder-familie-vaterschaftsanfechtung-leiblicher-biologischer-vater;

BVerfG, Beschl. v. 09.04.2004 - 1 BvR 1493/ 96 u.a. = NJW 2003, 2151.

 

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