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Entscheidung der Woche 18-2025 (SR)

Emilia Debertin

Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB wird nicht erst durch den tatsächlichen Eintritt eines Unfalls, sondern bereits durch das Schaffen einer Gefährdungssituation begründet, in der der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine Beinahe-Kollision, die nur durch Zufall nicht zum Schaden führt, erfüllt bereits den Tatbestand der konkreten Gefahr, wenn der Täter durch sein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten, wie etwa das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit an einer unübersichtlichen Stelle, eine solche gefährliche Situation herbeiführt.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGH 4 StR 73/24

Fundstelle: NZV 2025, 89

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB wird nicht erst durch den tatsächlichen Eintritt eines Unfalls, sondern bereits durch das Schaffen einer Gefährdungssituation begründet, in der der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine Beinahe-Kollision, die nur durch Zufall nicht zum Schaden führt, erfüllt bereits den Tatbestand der konkreten Gefahr, wenn der Täter durch sein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten, wie etwa das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit an einer unübersichtlichen Stelle, eine solche gefährliche Situation herbeiführt.

2. Für die Erfüllung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB muss das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhalten des Täters in einem inneren Zusammenhang mit den typischen Gefährdungsrisiken einer unübersichtlichen Stelle stehen. Dies bedeutet, dass die durch den Täter verursachte Gefährdung für Leib oder Leben nicht nur durch die unübersichtliche Stelle an sich, sondern insbesondere durch das Verhalten des Täters verstärkt wird. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Fahrverhalten und der Gefährdung bestehen, der zeigt, dass der Täter durch sein Verhalten die ohnehin bestehende Gefahr an der unübersichtlichen Stelle erheblich verschärft hat.


B. Sachverhalt

Der Angeklagte fuhr mit dem Fahrzeug, dessen Nutzung er sich unrechtmäßig verschaffen hatte, nach einer Polizeikontrolle mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit und mit drei weiteren Insassen durch eine unübersichtliche Stelle. In diesem Bereich, der aufgrund der Verkehrsführung und den örtlichen Gegebenheiten schlecht einsehbar war, geriet er in eine gefährliche Situation. Die überhöhte Geschwindigkeit und die mangelnde Kontrolle über das Fahrzeug führten beinahe zu einem Unfall, bei dem sowohl er selbst als auch andere Verkehrsteilnehmer in erheblichem Maße gefährdet wurden. Es kam beinahe zu einer Kollision mit einem anderen Verkehrsteilnehmer. Zwar kam es zu keinem Unfall, jedoch hätte sich das Geschehen jederzeit dramatisch wenden können.


C. Anmerkungen

Der BBG stellt in seiner Entscheidung klar, dass für die Erfüllung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB nicht nur ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten erforderlich ist, sondern auch, dass die daraus resultierende konkrete Gefahr für Leib und Leben oder fremde Sachen in einem inneren Zusammenhang mit den typischen Gefahren der jeweiligen Verkehrssituation stehen muss. Im vorliegenden Fall führte das Verhalten des Angeklagten - das Fahren mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch eine unübersichtliche Stelle - zu einer gefährlichen Situation, die beinahe in einen Unfall mündete. Der BGH betonte, dass es für das Vorlegen einer konkreten Gefahr nicht darauf ankommt, dass es tatsächlich zu einem Unfall kommt. Vielmehr genügt es, dass der Täter durch sein Verhalten eine Gefährdungslage geschaffen hat, in der der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich anzusehen war.

Damit stellt auch eine Beinahe-Kollision eine hinreichend konkrete Gefahr dar, wenn sie auf einem grob verkehrswidrigen Verhalten beruht.

Der BGH stellte ebenfalls klar, dass der Vorsatz des Täters hinsichtlich der konkreten Gefährdung vorliegt, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Es muss nicht der Wille bestehen, den Unfall herbeizuführen. Stattdessen reicht es aus, wenn der Täter die Gefahr eines solchen Ereignisses erkennt und billigend in Kauf nimmt. Dies wird dadurch unterstrichen, dass der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB auch dann erfüllt ist, wenn der Täter die Gefährdung als möglich erkennt und diese

bewusst toleriert.

Zudem wurde hervorgehoben, dass die objektive Zurechnung der Gefährdung gegeben ist, weil das Verhalten des Angeklagten ursächlich für die Gefahrensituation war. Eine besondere Gefahr besteht hier aufgrund der Kombination des grob verkehrswidrigen Fahrens mit den Gegebenheiten der unübersichtlichen Stelle, die typischerweise eine erhöhte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer birgt. Von Bedeutung ist mithin der Zusammenhang zwischen Gefährdungslage und Verhalten des Täters, und eine potenzielle Gefährdung ausreichend.


D. In der Prüfung

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB

I. Tatbestand

  1. Grob verkehrswidriges verhalten im Straßenverkehr

  2. Konkrete Gefahr für Leib und Leben eines anderen oder für eine fremde Sache von bedeutendem Wert


E. Literaturhinweise

BeckOK/Kudlich, § 315c StGB, Rn. 58 ff.

Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Niehaus, § 315c StGB, Rn. 23 ff.


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