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Entscheidung der Woche 19-2021 (SR)

Adam Hetka

Von einer beleidigungsfreien Sphäre ist dann auszugehen, wenn die Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson in einer gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmten Sphäre getätigt wird.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: KG, Beschl. v. 14.07.2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20)

in: BeckRS 2020, 18245

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Von einer beleidigungsfreien Sphäre ist dann auszugehen, wenn die Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson in einer gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmten Sphäre getätigt wird.

2. Der Kreis der Vertrauenspersonen bezieht sich nicht ausschließlich auf Familienmitglieder, sondern erstreckt sich darüber hinaus auch auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse. Dabei muss die Vertraulichkeit nach den konkreten Einzelfallumständen tatsächlich gewährleistet erscheinen.


B. Sachverhalt

Die Polizeianwärter A und B verlassen nach Dienstschluss das Gebäude der Polizeiakademie durch das Treppenhaus. Hier halten sich noch weitere Personen auf, darunter Polizeianwärterinnen C und D. Als A und B diese betrachten und durch Nicken und Zeigen auf C hinweisen, sagt A zu B: „Der würd‘ ich geben, der Kahba“. Das arabische Wort „Kahba“ bedeutet „Schlampe“ oder „Prostituierte“ und wird vor allem in der deutschen Rap-Szene immer häufiger gebraucht. Bei verständiger Würdigung dieser Vulgärsprache ist die Aussage des A so zu verstehen, dass er gerne mit C Geschlechtsverkehr haben wollen würde.

Hat sich A wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Das KG hat die Strafbarkeit des A wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bestätigt. Zweifellos habe A mit dem Wort „Kahba“ gerade seine Missachtung gegenüber C auszudrücken wollen. Vor allem aber seien die Voraussetzungen für eine sog. beleidigungsfreie Sphäre nicht erfüllt.

Für eine solche müsse es sich nämlich zunächst um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handeln, die außerdem in eine Sphäre falle, welche „gegen Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist“.

Zwar beschränke sich der Kreis möglicher Vertrauenspersonen nicht nur auf Familienmitglieder, sondern erstrecke sich auch auf „ähnlich enge Vertrauensverhältnisse“, wobei zu der jeweiligen Person eine besonders ausgestaltete Vertrauensbeziehung bestehen müsse.

Dabei sei zu fordern, dass die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls tatsächlich gewährleistet erscheint. So könne sich der Äußernde insbesondere umschauen und sich dadurch versichern, dass keine Person vor Ort anwesend ist und eine gegen Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmte Sphäre besteht. Auch habe er die Möglichkeit – etwa durch Flüstern – eine solche Sphäre selbst zu schaffen.

Ob zwischen A und B eine derart vertrauensvolle Beziehung bestand, ließ das KG offen, da dies aufgrund der unzureichenden Feststellungen im Ausgangsurteil des AG Tiergarten nicht abschließend beurteilt werden konnte. Jedenfalls hätte A aber im Zeitpunkt seiner Äußerung im Treppenhaus nach Dienstschluss mit einer Kenntnisnahme durch Außenstehende rechnen müssen. So sei in einem jedermann zugänglichen Treppenhaus zu solch einer Zeit mit Mitschülern und anderen Personen zu rechnen gewesen. Auch habe A keine besonderen Maßnahmen ergriffen, um einen vor Wahrnehmung Dritter geschützten Raum zu schaffen. Er habe sich vor seiner Verlautbarung weder umgeschaut, um sich zu versichern, dass er sich außer Hörweite von Dritten befindet, noch habe er etwa im Flüsterton gesprochen und damit eine gegen Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmte Sphäre selbst geschaffen.


D. In der Prüfung

Strafbarkeit des A gem. § 185 StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Beleidigungsfähiges Tatobjekt

b. Tathandlung

aa. Tatsachenbehauptung oder Werturteil

bb. Kundgabe

(P) Vorliegen einer beleidigungsfreien Sphäre

2. Subjektiver Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

III. Strafantrag, § 194 StGB


E. Zur Vertiefung

Zu den Beleidigungsdelikten: Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl., München 2021, § 28f.

 
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