Entscheidung der Woche 20-2019 (SR)
Finja Maasjost
Ein Strafverteidiger darf solche Beweismittel, die kein spezifisches Beweismaterial darstellen, dem staatlichen Zugriff nicht durch Verborgenhalten oder Angabe eines falschen Belegenheitsort entziehen.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH 2 ARs 121/18
in: HRRS 2018 Nr. 886
NStZ 2019, 100
A. Orientierungs- oder Leitsatz
Ein Strafverteidiger darf solche Beweismittel, die kein spezifisches Beweismaterial darstellen, dem staatlichen Zugriff nicht durch Verborgenhalten oder Angabe eines falschen Belegenheitsort entziehen. Bezüglich solcher Beweismittel, namentlich „verfänglichen Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gem. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Vereitelt ein Strafverteidiger die Beschlagnahme, indem er absichtlich falsche Angaben zu seinem Besitz an diesen macht, überschreitet er die Grenzen zulässiger Verteidigung und macht sich gem. § 258 StGB wegen Strafvereitelung strafbar, soweit durch sein Handeln das Strafverfahren gegen den Mandanten zumindest für geraume Zeit verzögert wird (Orientierungssatz der Redaktion).
B. Sachverhalt
Gegen N bestand der Verdacht auf Steuerhinterziehung, da dieser Rechnungen der Firma H über angebliche Lieferungen von Paletten verwendete, um diese als Betriebsausgaben steuerlich absetzen zu können. In der Hauptverhandlung gegen N vertrat ihn L als Strafverteidiger. Zudem beantragte die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme der Buchführungsunterlagen bzgl. der Firma H, welche im Vorverfahren bei N nicht aufzufinden waren. Im Folgenden legte L Kopien einiger Rechnungen und Lieferscheine vor. Die Vorlage sämtlicher Unterlagen blieb jedoch aus, sodass das LG die Beschlagnahme sowohl bei N als auch bei L anordnete und die Hauptverhandlung aussetzte. Daraufhin teilte L der Ermittlungsbehörde mit, dass sich die fraglichen Unterlagen in einer von N genutzten Garage befänden. Bei der Auswertung der aufgefunden Unterlagen wurde jedoch festgestellt, dass die Buchführungsunterlagen des Geschäftsjahres 2011 trotz vorhandener Anzeichen nicht vorhanden waren. Daher suchten die Ermittlungsbeamten die Kanzlei des L auf, welcher erklärte, dass sich einige Ordner in seinem Wohnhaus befänden. Später korrigierte er diese Angabe dahingehend, dass er lediglich in Besitz einer Tüte mit Lieferscheinen sei.
Anschließend wurden weitere Unterlagen, die keine Inhalte zur Firma H beinhalteten, im Wohnhaus des L beschlagnahmt. Dieser beteuerte, über keine weiteren Beweismittel zu verfügen. Tatsächlich war er noch im Besitz eines Ordners mit der Aufschrift „Rech. H. 2004-2010“, welcher sämtliche Unterlagen der Firma H im Original enthielt. Aus diesem Ordner entstammten auch einige der durch L vorgelegten Lieferscheine und Rechnungen.
Hat sich L gem. § 258 StGB strafbar gemacht?
C. Anmerkungen
Im Rahmen der Prüfung des § 258 StGB ist in erster Linie eine Trennung zwischen den beiden Tatbestandalternativen, der Verfolgungsverhinderung nach § 258 Abs. 1 StGB und der Vollstreckungsverhinderung nach § 258 Abs. 2 StGB vorzunehmen. Anschließend muss festgestellt werden, ob die Ahndung aufgrund der Handlung des Täters für eine geraume Zeit unterblieben ist und ob der Täter mit Vereitelungsvorsatz handelte. Vorliegend hat der BGH alle Tatbestandsmerkmale als gegeben angesehen. Eine Strafvereitelung sei insbesondere auch durch Vereitelung eines staatlichen Beschlagnahmezugriffs möglich. Sowohl aufgrund der Nennung eines falschen Belegenheitsortes als auch durch die Erklärung, keine weiteren als die bereits aufgefundenen Unterlagen zu besitzen habe L die Auswertung durch staatliche Stellen um mehr als ein halbes Jahr verzögert. Zudem spräche das Vorlegen mancher Unterlagen für die Kenntnis des L vom Aufenthalt der wahren Unterlagen. Ferner bestand kein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, sodass L die Beweismittel der vorrangigen staatlichen Auswertung nicht hätte entziehen dürfen.
D. In der Prüfung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand:
a. Verfolgungsvereitelung, § 258 I (!)
b. Vollstreckungsvereitelung, § 258 II
2. Subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz
b. Absicht oder sicheres Wissen bzgl.
Vereitelung
E. Zur Vertiefung
Zur Strafvereitelung: Rengier, Strafrecht BT I, 21. Aufl. 2019, § 21;
Zum Verteidigerausschluss nach §§ 138a ff.:
StPO: Anm. Bockemühl, NStZ 2019, 100 (102f.).