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Entscheidung der Woche 20-2023 (SR)

Kevin Schmolowski

"Donuts" (360-Grad-Kehren) sind kein unerlaubtes Kraftfahrzeugrennen und unterfallen nicht § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az: KG 3 Ss 59-60/21

in: BeckRS 2022, 1853

DAR 2022, 393

LSK 2022, 1853

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

1. "Donuts" (360-Grad-Kehren) sind kein unerlaubtes Kraftfahrzeugrennen und unterfallen nicht § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

2. Der Tatbestand der Nötigung erfordert in Bezug auf die Zwangswirkung nicht in jedem Fall Absicht.


B. Sachverhalt

Am 09.02.2020 befuhr A mit dem Pkw Maserati die J-Straße in Berlin. Unter starker Beschleunigung brachte er das von ihm geführte Fahrzeug in eine kreisende, driftende Fahrbewegung. Unter zunehmender weiterer Beschleunigung vollzog der A für etwa 10 Sekunden „Donuts“ (360-Grad-Kehren auf der Stelle) über den gesamten Kreuzungsbereich, wobei die Reifen quietschten und aufgrund des Reifenabriebs starke Qualmentwicklung die Folge war. Aufgrund des sich mit starker Beschleunigung im Kreis bewegenden Pkw des A wurden andere Verkehrsteilnehmer durch die physisch unmittelbar blockierend wirkende Anwesenheit des Pkw, sowie die von diesem ausgehende Gefahr aufgrund eines jederzeit möglichen unkontrollierten Ausbruchs des Fahrzeugs daran gehindert, den gesamten Kreuzungsbereich ungehindert zu befahren. Dies hatte zur Folge, dass eine unbestimmte Anzahl an Verkehrsteilnehmern, hier insbesondere andere Kraftfahrzeugführer, Radfahrer und Fußgänger, jedenfalls vorübergehend an einem sicheren und zügigen Passieren der Kreuzung durch A gehindert wurden.

A kam es hierbei vorrangig darauf an, anderen Teilnehmern des sich vor Ort befindlichen Hochzeitskorsos zu imponieren, wobei dieser zumindest billigend in Kauf nahm, dass auch andere Verkehrsteilnehmer angesichts seines risikobehafteten Fahrmanövers den Kreuzungsbereich vorübergehend nicht passieren konnten. Nachdem A das Fahrzeug mehr als zweimal um die eigene Achse gedreht hatte, fuhr er entgegen der Fahrtrichtung in die H-Straße.

Hat sich A wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB oder wegen einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Sowohl die Amtsanwaltschaft Berlin als auch der Angeklagte legten Revision ein. Erstere macht geltend, der Angeklagte hätte auch wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt werden müssen. Letzterer vertritt die Auffassung, die Feststellungen trügen eine Verurteilung wegen Nötigung weder in Bezug auf die innere noch auf die äußere Tatseite.

Beide Rechtsmittel blieben erfolglos. Entschieden hat das Kammergericht Berlin, welches als Oberlandesgericht des Landes Berlin das höchste Berliner Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist. Im vierstufigen Gerichtsaufbau Deutschlands steht das Kammergericht über den Amtsgerichten und dem Landgericht, aber unterhalb des Bundesgerichtshofs. Durch sein verkehrsfremdes Fahrmanöver hat der Angeklagte ein

physisches Hindernis errichtet und folglich mit kompulsiver Gewalt eine der zentralen Straßenkreuzungen Berlins blockiert und hierdurch eine unbestimmte Zahl von Verkehrsteilnehmern für einen nicht unwesentlichen Zeitraum (vollständig) daran gehindert, die Kreuzung zu Verkehrszwecken zu nutzen. Wie lange eine Zwangswirkung andauern muss, um tatbestandsrelevant zu sein, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Vorliegend hat der Vorgang mit der Dauer des Einfahrens in die Kreuzung, der Positionierung sowie dem Ausfahren aus der Kreuzung etwa 15 Sekunden gedauert. Diese Dauer liegt im zeitlichen Rahmen solcher im Straßenverkehr begangener Tathandlungen, die als Nötigung anerkannt sind, z. B. eines Ausbremsens.

In Bezug auf § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sieht der Senat zunächst das Merkmal der „Fortbewegung“ als nicht verwirklicht an, denn der A hat sich durch seine 360-Grad-Kehren gerade nicht fortbewegt, sondern er rotierte auf der Stelle. Eine Auslegung dahin, Rotationen seien eine Art der Fortbewegung, scheitert bereits an der Wortlautgrenze. Darüber hinaus handelte A nicht, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Der Terminus der „nicht angepassten Geschwindigkeit“ zeigt, dass der Gesetzgeber Fahrweisen unter Strafe stellen wollte, die einer angepassten Geschwindigkeit grundsätzlich zugänglich sind. Das missbräuchliche Rotierenlassen eines PKW fällt nicht darunter. Auch die amtliche Überschrift des § 315d StGB „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ lässt erkennen, dass die Vorschrift das hier abgeurteilte Verhalten, dem jedes kompetitive Moment fehlt, nicht erfasst.

A hat sich wegen einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Eine Strafbarkeit gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB scheidet aus.


D. In der Prüfung

I. § 240 StGB

1. Tatbestand

a) Nötigungshandlung: Gewalt

b) Nötigungserfolg

c) Vorsatz

2. Rechtswidrigkeit

3. Schuld

II. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB


E. Literaturhinweise

Heger in: Lackner/Kühl/Heger, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2023, § 315d Rn. 5.

 
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