Entscheidung der Woche 21-2019 (ÖR)
Daniel Müller
Der Ausschluss der gemeinschaftlichen Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien verstößt gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.
Aktenzeichen & Fundstelle
BVerfG 1 BvR 673/17
in: BeckRS 2019, 7418
A. Orientierungs- oder Leitsatz
Der Ausschluss der gemeinschaftlichen Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien verstößt gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.
B. Sachverhalt (verkürzt)
Die Beschwerdeführerin M ist die leibliche Mutter zweier zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde minderjährigen Kinder. Der mit der Mutter verheiratete leibliche Vater der Kinder verstarb im Jahr 2006. Seit 2007 leben M und ihr Freund F in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Sie haben nach eigenen Angaben von einer Eheschließung abgesehen, weil M eine Witwenrente bezieht, die sie durch erneute Heirat verlöre. Im Oktober stellen M und F einen Antrag auf Ausspruch der Annahme der beiden Kinder der M als gemeinschaftliche Kinder und lassen diesen notariell beurkunden. Das zuständige Amtsgericht wies den Antrag zurück und verwies auf die derzeitige Rechtslage, nach der Unverheiratete ein Kind nur allein zur Adoption annehmen können. Diese Regelung verfolge den legitimen Zweck, eine stabile Elternbeziehung zu gewährleisten.
C. Anmerkungen
Die vorliegende Entscheidung betrifft die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Vorschriften über die Adoption von Kindern durch unverheiratete Personen. Ausgangspunkt sind die §§ 1741 Abs. 2, 1754 f. BGB, welche die Annahme einer gemeinschaftlichen Adoption durch nichteheliche Lebensgemeinschaften ausschließen. Das Bundesverfassungsgericht setzt sich ausführlich mit einem Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot und dem Prüfungsmaßstab für die Rechtfertigung personenbezogener Ungleichbehandlungenauseinander.
1. Weder das Elterngrundrecht noch das Recht der anzunehmenden Kinder auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflegeund Erziehung noch das Familiengrundrecht sind durch den Ausschluss der gemeinschaftlichen Adoption für nichteheliche Lebensgemeinschaften verletzt.
2. Gleichwohl liegt in den gesetzlichen Adoptionsgrenzen eine Ungleichbehandlung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien gegenüber Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien. Aufgrund der hohen Intensität der Ungleichbehandlung bemisst sich ihre Rechtfertigung nach strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
3. Zwar stellt die Intention des Gesetzgebers, dafür zu sorgen, dass ein Kind nur in möglichst stabilen Familienverhältnisses adoptiert wird, in denen die Beziehung zwischen Elternteil und Stiefelternteil Aussicht auf längeren Bestand hat, ein legitimes Ziel dar. Indes ist die Ehelichkeit der Beziehung als Differenzierungskriterium nur geeignet, einen Teil solcher Beziehungen zu erfassen.
4. Ein Eingriff von geringerer Intensität läge in einer auf konkretere Stabilitätsprognosen abstellenden Adoptionsregelung. Die Ehelichkeit kann dabei als Indikator für die Stabilität einer Beziehung herangezogen werden. Den pauschalen Ausschluss aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften von der gemeinsamen Adoption vermag sie aber nicht zu rechtfertigen.
D. In der Prüfung
I. Verletzung von Grundrechten
1. Verletzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 2 GG
2. Verletzung des Rechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG
3. Verletzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 1 GG
4. Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG
a. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung
b. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
aa. Intensität der Ungleichbehandlung
bb. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Legitimer Zweck
(2) Geeignetheit
(3) Erforderlichkeit
(4) Verhältnismäßigkeit i. e. S. (!)
E. Zur Vertiefung
Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, JuS 2008, 945 ff.;
Sachs/Jasper, Der allgemeine Gleichheitssatz, JuS 2016, 769 ff.