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Entscheidung der Woche 21-2025 (SR)

Marija Mijatovic

Relative Fahruntüchtigkeit liegt vor, sofern die BAK des Angeklagten zur Tatzeit unterhalb des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, jedoch aufgrund zusätzlicher Tatsachen
eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nachgewiesen werden
kann.


Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGH 4 StR 526/24.

In: BeckRS 2025, 5624. openJur 2025, 11409.

FD-StrVR 2025, 806284.


A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Relative Fahruntüchtigkeit liegt vor, sofern die BAK des Angeklagten zur Tatzeit unterhalb des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, jedoch aufgrund zusätzlicher Tatsachen eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nachgewiesen werden kann.

2. Neben der BAK sind weitere aussagekräftige Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, inwiefern die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers vermindert war und wodurch er nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug im Straßenverkehr zu steuern, erforderlich.

3. In der Regel sind Feststellungen zu dem üblichen Fahrverhalten sowie dem vor und nach dem Tatzeitpunkt dargelegten Fahrverhalten des Angeklagten nebst einer Würdigung dessen notwendig.


B. Sachverhalt

Der BGH hat mit seiner Entscheidung ein Urteil des LG Münster

(2 Ks-30 Js 394/22-16/22) aufgehoben. Das LG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs sowie versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt.

Der Angeklagte fuhr nachts auf einer Landstraße, nachdem er am selben Abend Alkohol getrunken und maximal zwei Tage zuvor Cannabis konsumiert hatte. Seine BAK betrug mindestens 0,72 ‰ und höchstens 1,35 ‰, und sein Blut wies mindestens 1,6 ng/ml THC auf.

In einer Rechtskurve geriet er mit einer Geschwindigkeit von circa 80 km/h bei zulässigen 50 km/h driftend auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einem Fußgänger. Anhand dieser Kollision verstarb der geschädigte Fußgänger.

Nichtsdestotrotz setzte der Angeklagte seine Fahrt fort. Folglich nahm er billigend in Kauf, dass der geschädigte Fußgänger noch lebte, bei sofortigen Hilfemaßnahmen überleben und ohne solche versterben könnte. Um seine Beteiligung am Unfall zu verdecken, entfernte sich der Angeklagte vom Unfallort.

C. Anmerkungen

Die festgestellte alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten ist nicht belegt worden. Das Tatgericht hat die verminderte Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers infolge seiner Alkoholisierung anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen. Die Beweiswürdigung des LG genügt diesen Anforderungen nicht.

Das LG hatte lediglich kurz ausgeführt, dass die für den Eintritt des Unfalls kausale Geschwindigkeitsüberschreitung ein alkoholbedingter Fahrfehler sei. Es hatte andere Gründe angesichts der Dunkelheit und der fehlenden Streckenkenntnis des Angeklagten abgelehnt.

Nicht jegliche Mitursächlichkeit einer Alkoholintoxikation für einen Fahrfehler ist mit einer Fahruntüchtigkeit im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB oder § 316 Abs. 1 StGB gleichzusetzen.

Der Angeklagte hätte auch mit einer bloßen Enthemmung infolge des Alkoholkonsums, die eigenen Fähigkeiten alkoholbedingt überschätzen können, woraus noch keine Beeinträchtigung seines fahrerischen Leistungsvermögens und schließlich die Annahme der Fahruntüchtigkeit folgt. Stattdessen bestand aufgrund mehrerer festgestellter Umstände - z.B. dass die BAK mit 0,72 % noch deutlich von einer absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt war und der Cannabis-Konsum bereits zwei Tage zurücklag - noch Grund zur Annahme einer erhaltenen Fahrtüchtigkeit.

Die Polizeibeamten trafen eine Stunde nach dem Unfall auf den Angeklagten und konnten keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen bemerken.

Ein psychiatrischer Sachverständiger hatte eine relevante Auswirkung des genossenen Alkohols auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgeschlossen. All dies habe das LG rechtsfehlerhaft unerörtert gelassen.

Zudem werden andere intoxikationsunabhängige Unfallursachen - z.B. das übliche Fahrverhalten des Angeklagten, persönliche Verhältnisse des Angeklagten, eine generelle Geneigtheit zum Zu-schnell-fahren und die Sichtbarkeit von Verkehrsschildern für einen Ortsunkundigen - verkannt.

D. In der Prüfung

§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB bzw. § 316 Abs. 1 StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

  1. Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr

  2. Genuss alkoholischer Getränke oder anderer berauschender

    Mittel

  3. Nicht-in-der-Lage-sein das Fahrzeug sicher zu führen


E. Literaturhinweise

BGH 4 StR 43/82.

BGH 4 StR 688/93.

BGH 4 StR 231/22.

BGH 4 StR 80/23.

Rengier, StrafR BT II, 25. Aufl. 2024, § 43, Rn. 17, 18, 22.

BeckOK StGB/Kudlich, 64. Ed., 1.2.2025, § 315c, Rn. 16-35.




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