Entscheidung der Woche 24-2019 (ÖR)
Frederike Hirt
Für das Verfahren beim Ausschluss aus einer Gemeinderatsfraktion gelten die im Vereinsrecht anerkannten Grundsätze zur Unzulässigkeit eines „Richters in eigener Sache“.
Aktenzeichen & Fundstelle
Bay VGH – 4 CE 17.2450
in: BeckRS 2018, 5115
DVBl 2019, 54
A. Orientierungssatz
Für das Verfahren beim Ausschluss aus einer Gemeinderatsfraktion gelten die im Vereinsrecht anerkannten Grundsätze zur Unzulässigkeit eines „Richters in eigener Sache“.
B. Sachverhalt (verkürzt)
Der Oberbürgermeister der Stadt N erstattete Strafanzeige wegen der Verbreitung von Gerüchten. Ermittelt wurde diesbezüglich gegen T, Mitglied der C-Fraktion. Im Rahmen einer Zeugenvernehmung sagte die Antragstellerin A aus, dass ihr Fraktionskollege T diese in Fraktionssitzungen angesprochen habe und sie deshalb vermute, dass T Urheber der Gerüchte sei. Daraufhin wurde A von der C-Fraktion vorgeworfen, sie hätte Fraktionsinterna preisgegeben. A wurde zu einer Fraktionssondersitzung eingeladen, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Im Anschluss wurde sie mit Beschluss von sechs Ja- und vier Nein-Stimmen aus der Fraktion ausgeschlossen. Dabei stimmte sowohl T als auch Fraktionsmitglied H ab, der im Ermittlungsverfahren als sein Rechtsanwalt aufgetreten war. Um weiterhin an der Fraktionsarbeit teilzunehmen, begehrt A im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren als Fraktionsmitglied zugelassen zu werden.
C. Anmerkungen
Der Fall behandelt die Wirksamkeit des Ausschlusses aus einer Ratsfraktion. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass kommunalrechtliche Vorschriften bei der frei gebildeten Personenvereinigung nicht direkt anwendbar sind. Eine analoge Anwendung der Vorschriften des NKomVG scheidet regelmäßig wegen des fehlenden Bezugs zur Gemeindeverwaltung aus. Stattdessen wird insbesondere auf die Vorschriften für Vereine zurückgegriffen. Aus diesen werden allgemeine Rechtsgrundsätze für auf ein Zusammenwirken mehrerer Beteiligter angelegte Dauerrechtsverhältnisse abgeleitet.
Im Rahmen der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs war zu bedenken, dass die Rechtsnatur von Fraktionen und damit auch der Charakter ihrer Innenrechtsstreitigkeiten umstritten ist. Überwiegend wird darauf abgestellt, dass eine Fraktionszugehörigkeit sich unmittelbar auf die Rechtsstellung innerhalb des Rates auswirkt. Als Annex dieser Rechtsstellung haben Innenrechtsstreitigkeiten von Fraktionen öffentlich-rechtlichen Charakter. In der Hauptsache handelt es sich um ein Kommunalverfassungsstreitverfahren in Form der Feststellungklage i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO. Statthafte Antragsart ist also § 123 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.
Innerhalb der Begründetheit ist zu prüfen, ob der Ausschluss unwirksam war. Verfahrensmäßig folgt für den Fraktionsausschluss aus dem Demokratie- und Rechtstaatsprinzip ein Anhörungserfordernis. Dazu gehört auch, dass die Vorwürfe konkret bezeichnet werden müssen. Jedenfalls mit Bekanntgabe der Entscheidung müssen die Gründe schriftlich mitgeteilt oder persönlich erläutert werden. Beides hat die C-Fraktion nicht getan.
Nach §§ 54 Abs. 3, 41 Abs. 1 Nr. 1, 4 NKomVG hätte für H und T außerdem ein Mitwirkungsverbot bestanden. Diese finden aber keine Anwendung. Demgegenüber findet sich im Vereinsrecht das „Verbot des Richtens in eigener Sache“, § 34 BGB. Zumindest T unterlag diesem Stimmverbot. Auch ohne die Beteiligung des T wäre aber eine ausreichende Mehrheit erreicht worden. Es fehlt demzufolge an der Kausalität zwischen Stimmverbot und Ergebnis.
Materiell war ein wichtiger Grund erforderlich. Die Verschwiegenheitspflicht aus §§ 54 Abs. 3, 40 NKomVG konnte A mangels Bezug zu Gemeindeaufgaben weder unmittelbar noch analog verletzen. Auch eine Unrichtigkeit der Zeugenaussage steht nicht fest. A hatte auch kein Zeugnisverweigerungsrecht, was sie hätte nutzen können.
Im Übrigen hat A mit der Zeugenaussage lediglich ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist daher ausnahmsweise zulässig.
D. In der Prüfung
A. Eröffnung des Verwaltungsrechtwegs (!)
B. Zulässigkeit -> beachte hier die analoge Anwendung von § 42 Abs. 1 und § 61 Nr. 2 VwGO für A als (ehemaliger) Teil einer Fraktion
C. Begründetheit
I. Anordnungsanspruch (!) Unwirksamkeit des Ausschlusses bei formeller bzw. materieller Rechtswidrigkeit
II. Anordnungsgrund
III. Glaubhaftmachung
IV. Vorwegnahme der Hauptsache (!)
E. Zur Vertiefung
OVG NRW, BeckRS 3765 und BeckRS 3180 in ähnlichen Fällen;
Ipsen, Rechtsschutz gegen Fraktionsausschluss, NVwZ 2005, 361;
Lenz, Der Fraktionsausschluss, NVwZ 2005, 364 zur staatsorganisationsrechtlichen Ebene.