Entscheidung der Woche 24-2023 (ÖR)
Jasmin Wulf
Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität als objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip begründet als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BayVGH 5 ZB 20.2243
in: BeckRS 2022, 23727
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität als objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip begründet als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Diese können einen Abwehranspruch nur dann geltend machen, wenn eines der Grundrechte verletzt wird, aus denen die staatliche Neutralitätspflicht hergeleitet wird (Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG).
2. Ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität, der sich in einer bloß passiven Verwendung eines religiösen Symbols ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung erschöpft und mit keinen weiteren Nachteilen für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verbunden ist, verletzt weder deren Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit noch auf Gleichbehandlung.
B. Sachverhalt
Eine als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgestaltete Weltanschauungsgemeinschaft wendet sich gegen den sogenannten „Kreuzerlass“ der Bayerischen Staatsregierung vom 1. Juni 2018. Der Ministerrat beschloss am 24. April 2018, eine neue Regelung in § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) vom 12. Dezember 2000 mit folgendem Wortlaut einzufügen: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen“.
Die Klägerin beantragte daraufhin bei der Staatskanzlei die Entfernung der im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze. Am 8. Oktober 2018 erhob die Klägerin zusammen mit zwei Weltanschauungsgemeinschaften Klagen zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, § 28 AGO aufzuheben und den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen im Sinne von § 28 AGO im Eingangsbereich des Dienstgebäudes angebrachten Kreuze zu entfernen.
Gegen das ablehnende Urteil des VG München wollen die Kläger nun Berufung einlegen und begehren deren Zulassung.
C. Anmerkungen
Der Verwaltungsgerichtshof Bayern hat diese Zulassung abgelehnt, da keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen. Die Kläger müssten im Rahmen der hier statthaften allgemeinen Leistungsklage geltend machen, durch ein bestimmtes Kreuz in einer konkreten Behörde in ihren Rechten beeinträchtigt zu werden. Dies gelang nicht. Zudem wird den Klägern durch die analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO nicht effektiver Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG zur Wahrung ihrer Rechte aus Art. 4 GG verwehrt. Darüber hinaus ist die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte des Klägers begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BayVGH kann die Anbringung eines Kreuzes durch staatliche Stellen nur dann als Eingriff in das Grundrecht eines Einzelnen zählen aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 107 Abs. 1 BV gewertet werden, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird. Ein im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen angebrachtes Kreuz an der Wand stellt ein passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung dar. Zudem ist ein Eingangsbereich lediglich ein Durchgangsbereich der nicht dem längeren Verweilen dient.
Hier liegt ein gravierender Unterschied zu Unterrichtsräumen, bei der eine solche Lage ohne Ausweichmöglichkeiten bereits angenommen wurde.
D. In der Prüfung
Allgemeine Leistungsklage
A. Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
II. Statthafte Klageart
III. Klagebefugnis (P)
IV. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
V. Vorverfahren und Klagefrist
B. Begründetheit
I. Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs
II. Anspruch aus FBA
1. Hoheitliches Handeln
2. Eingriff in subjektives Recht (P)
E. Literaturhinweise
Friedrich, Über Kreuz mit der Verfassung? Das Gebot religiöser Neutralität des Staates am Beispiel der neuen "Kreuzpflicht" für Dienstgebäude des Freitstaats Bayern, NVwZ 2018, 1007.