Entscheidung der Woche 24-2025 (SR)

Lena Tenge
Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: OLG Bremen 1 ORs 26/24
in: openJur 2025, 460
BeckRS 2025, 295
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1.Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden.
2.Als Annexkompetenz ermächtigt § 81b Abs. 1 StPO auch zur Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons.
3.Leistet der Beschuldigte hiergegen Widerstand, kann dies gemäß §§ 113 f. StGB strafbar sein.
4.Der Zugriff auf die im Mobiltelefon gespeicherten Daten und deren Verwendung für die Zwecke des Strafverfahrens ist nicht auf § 81b Abs. 1 StPO zu stützen, sondern auf die Bestimmungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme in den §§ 94 und 110 StPO.
B. Sachverhalt
Das OLG Bremen hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Durchsuchung durch die Kriminalpolizei beim Beschuldigten wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften durchgeführt wurde. Obwohl er zunächst behauptete, kein funktionierendes Mobiltelefon zu besitzen, entdeckten die Beamten ein klingelndes Mobiltelefon während der Durchsuchung. Die Beamten forderten den Beschuldigten auf, das Mobiltelefon mittels Fingerabdruck zu entsperren. Dies verweigerte er.
Daraufhin wurde er darüber belehrt, dass die Entsperrung notfalls zwangsweise durchgeführt werden würde. Der Beschuldigte versuchte, sich dieser Maßnahme zu entziehen. Aufgrund seiner Gegenwehr musste er zu Boden gebracht und fixiert werden, damit die Beamten dann mit seinem Finger das Mobiltelefon entsperren konnten. Gegen diese seiner Meinung nach unrechtmäßige Maßnahme wehrte sich der Beschuldigte mit heftiger Gegenwehr.
C. Anmerkungen
Das AG Bremerhaven verurteilte den Mann aufgrund Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe. Das LG Bremen bestätigte diese Entscheidung. In der Revision vor dem OLG berief er sich auf das strafrechtliche Selbstbelastungsverbot - er sei nicht zur Mitwirkung an der Entsperrung des Mobiltelefons verpflichtet gewesen. Die ihm vorgeworfene Tat sei daher gem. § 113 Abs. 3 StGB nicht strafbar, da die Diensthandlung nicht rechtmäßig gewesen sei.
Das OLG Bremen entschied, dass das Vorgehen der Polizei rechtmäßig gewesen sei und § 113 Abs. 3 StGB somit nicht zum Zuge komme. Die Zwangsmaßnahme lasse sich auf die
Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO stützen. Aufgrund der technikoffenen Formulierung sei auch die "Vornahme einer ähnlichen Handlung" erlaubt. Das zwanghafte Auflegen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor sei als eine solche Vornahme einzustufen. Da es sich beim Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons um eine einmalige Verwendung gerade ohne dauerhafte Speicherung handelt, sei die Maßnahme weniger eingriffsintensiv als die in § 81b Abs. 1 StPO genannte Aufnahme von Fingerabdrücken.
Die Anwendung unmittelbaren Zwanges für diese einmalige Verwendung des Fingerabdrucks sei daher von § 81b Abs. 1 StPO gedeckt. Zwar greife ein solch zwangsweises Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdrucksensor wegen der damit verbundenen Vermessung individueller biometrischer Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieser Grundrechtseingriff könnte wegen seiner geringen Intensität aber im Hinblick auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Regelung des § 81b Abs. 1 StPO gerechtfertigt werden. Insoweit unterliege die zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durch das zwangsweise Entsperren könnte der Tatvorwurf weiter aufgeklärt werden, so das OLG Bremen. Es sei wahrscheinlich gewesen, dass die Beamten auf dem Mobiltelefon geeignete Daten auffinden und als Beweismittel nutzen würden. Das Auflegen des Fingers stelle dabei das mildeste Mittel dar.
Das OLG war letztlich davon überzeugt, dass die Maßnahme angemessen und rechtmäßig war.
D. In der Prüfung
§ 113 Abs. 1 StGB
I. Tatbestand
1.Objektiver Tatbestand
a. Vollstreckungsbeamter
b. bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung
c. Widerstand leisten mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt
2.Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
3.Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3
a. Rechtfertigung körperlicher Gewalt
b. Verstoß gegen Selbstbelastungsfreiheit
c. Verhältnismäßigkeit
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
E. Literaturhinweise
https://www.brak.de/newsroom/news/polizei-drueckt-finger-d
es-beschuldigten-auf-sein-handy-zulaessig/