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Entscheidung der Woche 25-2021 (SR)

Felix Lücke

§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist auch in den sog. Polizeifluchtfällen anwendbar, wenn festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

Aktenzeichen & Fundstelle

BGH 4 StR 142/20

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist auch in den sog. Polizeifluchtfällen anwendbar, wenn festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern.


B. Sachverhalt (vereinfacht)

A und seine beiden entfernten Verwandten B und C brachen im Stadtgebiet von H zur Nachtzeit einen Transporter auf und nahmen aus diesem mehrere Koffer und Werkzeuge mit. Während sie ihre etwa 400 kg schwere Beute im eigenen PKW verstauten, wurden sie von zivilen Polizeikräften beobachtet. Auf sechs Einsatzfahrzeuge verteilt, folgten die Beamtinnen und Beamten den Tätern, um auf eine günstige Gelegenheit zur Festnahme zu warten. Als sie die Flüchtenden an einer Ampel umzingelten und zum Aussteigen aufforderten, legte A – um ihre Identifizierung und Festnahme zu verhindern – den Rückwärtsgang ein, setzte mit Vollgas zurück und raste sodann über eine Verkehrsinsel in den Gegenverkehr. Um der Polizei, die erneut die Verfolgung aufgenommen hatte, zu entkommen, versuchte er, die unter den Straßenbegebenheiten größtmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Am Ende der vor ihm liegenden Straße erkannte A in etwa 150m eine große Kreuzung mit insgesamt sechs, rot leuchtenden Ampeln. Obwohl er mit Querverkehr rechnete, gab er – in der Absicht, eine Festnahme unter allen Umständen zu vermeiden – ca. 100 m vor der Kreuzung Vollgas und nahm dabei billigend in Kauf, sich selbst, seine Mitfahrer oder andere Verkehrsteilnehmer tödlich verletzen zu können. Er setzte die Hochgeschwindigkeitsfahrt auch dann noch fort, als er ca. 20 m vor Einfahrt in den Kreuzungsbereich den querenden Verkehr erkennen konnte. Nach der Kollision mit einem anderen PKW, geriet das Fahrzeug ins Schleudern und erfasste eine bei grün leuchtender Ampel die Straße überquerende Fußgängerin, die noch am Unfallort ihren tödlichen Verletzungen erlag.

Hat sich A gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 5 StGB strafbar gemacht?


C. Anmerkungen

Gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr mit nicht angepasster Geschwindigkeit, grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Während sich die Auslegung der Rechtsbegriffe „grobe Verkehrswidrigkeit“ und „Rücksichtslosigkeit“ an § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB und der hierzu bestehenden Rechtsprechung und Literatur orientieren könnten, kommt es für die für § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als überschießende Innentendenz tatbestandsspezifische Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nach Auffassung des BGH darauf an, dass der Täter nach seinen Vorstellungen und der konkreten Situation, die jeweils maximal mögliche Geschwindigkeit für eine nicht nur unerhebliche Wegstrecke erreichen wolle. Indes müsse es sich bei alledem nicht um die Hauptintention des Täters handeln. Es genüge vielmehr, wenn er das Erreichen der im Einzelfall möglichen Grenzgeschwindigkeit als notwendiges Zwischenziel erachte, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Daher könnten auch die sog. Polizeifluchtfälle – bei Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen – von der Vorschrift umfasst sein, sofern festzustellen sei, dass es dem Täter hierauf als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht ankam.

Hiernach hat sich A durch seine rasante Flucht tatsächlich gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht. Weil hierbei eine Fußgängerin getötet wurde, hat er überdies – wegen der insoweit vorsätzlich herbeigeführten Gefahrenlage – die Qualifikationstatbestände aus Abs. 2 und 5 erfüllt. Ergibt sich die grobe Verkehrswidrigkeit bereits aus der deutlich überhöhten Geschwindigkeit und ist das Merkmal der Rücksichtslosigkeit dadurch erfüllt, dass A seinen Fluchtwillen über die Belange aller anderen Verkehrsteilnehmer setzte, war sein Verhalten von der Absicht getragen, die eigene und die Flucht seiner beiden Komplizen um jeden Preis zu ermöglichen. Hierfür sah er es als notwendig an, die größtmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Seine ungebremste Beschleunigung war dabei angesichts der verbleibenden etwa 150 m bis zur uneinsehbaren Kreuzung und der in der Vorstellung des A danach fortzusetzende Flucht auch auf eine hinreichend lange Wegstrecke bezogen.


D. In der Prüfung

[…]

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz

b) Absicht, die maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen

[…]


E. Zur Vertiefung

Zum verbotenen „Alleinrennen“ vgl. bereits BGH, Beschl. v. 17.2.2021 – 4 StR 225/20 = NJW 2021, 1173; s. ergänzend Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 44a Rn. 8ff.

 
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