Entscheidung der Woche 25-2024 (SR)
Dilan Haviri
Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 I 1 2. Alt. StGB) ist entscheidend, ob der Täter "Herr seiner Entschlüsse" bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert; daran kann es fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritt ist.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH 6 StR 324/23
Fundstelle: NJW 2024, 1282
StRR 2024, 29 (m. Anm. Dr. Axel Deutscher)
BeckRS 2024, 5287
LSK 2024, 5287 (Ls.)
A. Orientierungs- oder Leitsätze
1. Zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch (§ 24 I 1 2. Alt. StGB).
2. Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 I 1 2. Alt. StGB) ist entscheidend, ob der Täter "Herr seiner Entschlüsse" bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert; daran kann es fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritt ist.
B. Sachverhalt
Der intelligenzgeminderte Angeklagte lebte vor Tatbegehung sozial weitgehend isoliert. Er entwickelte eine Vorliebe für Pornografie, in welcher Frauen zunächst erschlagen oder erschossen wurden und deren Leichname sodann sexuell missbraucht wurden. Der Angeklagte selbst erfuhr Zurückweisungen von Frauen, doch hatte er das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle.
Am Tattag hat der Angeklagte von seinem Arbeitgeber den Auftrag erhalten ein Fenster in der Wohnung der 27-jährigen Nebenklägerin auszutauschen. Allein mit der Nebenklägerin in ihrer Wohnung beschloss der Angeklagte, die Nebenklägerin mithilfe eines Hammers zu töten und anschließend an ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen.
Er schlug ihr von hinten mit einem Hammer zwölfmal gegen den Kopf. Ohne sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen, ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab und ging davon aus, dass diese an ihren Verletzungen ohne sofortige Hilfe sterben würde. Er reinigte seine Hände und den Hammer, als ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage deutlich wurde. In seinem Schockzustand verließ er die Wohnung und lief vor dem Wohnhaus auf und ab. Dann versuchte er, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken in dem dessen Verfolgung vortäuschte. Den Hammer warf er derweil in ein Gebüsch. Zudem forderte er zwei Zeuginnen dazu auf, einen Notruf zu tätigen.
Der Angeklagte sprach eine weitere Zeugin an und berichtete seinen Kollegen und seinem Arbeitgeber von dem vermeintlichen Einbruch. Er handelte nicht aus "freien Stücken", sondern vielmehr in einem Schockzustand, wobei ihm der gefühlte "innere seelische Druck keine andere Handlungsalternative" ließ. Die Nebenklägerin konnte trotz mehrfacher offener Schädel-Hirn-Traumata und Kopfplatzwunden gerettet werden.
C. Anmerkungen
Die Strafkammer hat das Geschehene rechtlich als versuchten Mord, welcher mit Ermöglichungsabsicht begangenen wurde gewertet (§§ 211, 22 StGB) und zudem die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 I Nr. 2, 5, § 52 StGB) angenommen.
Wegen der Intelligenzminderung wurde eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit beim Angeklagten angenommen (§ 21 StGB). Einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch hat das LG abgelehnt. Für den unbeendeten Versuch i.S.v. § 24 I Alt. 1 StGB ist anerkannt, dass ein Rücktritt dann nicht strafbefreiend wirkt, wenn der Täter meint, den Erfolg theoretisch noch herbeiführen zu können, er sei sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen.
Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch sind grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen. Entscheidend ist in diesen Fällen auch, ob der Täter "Herr seiner Entschlüsse" bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran kann es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintrittes war.
D. In der Prüfung
§ 211 Abs. 2 1. Gruppe 2. Variante, 212, 22, 23 StGB
I. Vorprüfung
1. Nichtvollendung der Tat
2. Strafbarkeit des Versuchs, §§ 23 Abs. 1 1. Alt., 12 Abs. 1 StGB
II. Tatentschluss
III. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld V. Rücktritt
1. kein Fehlschlag des Versuchs
2. Abgrenzung unbeendeter und beendeter Versuch
3. Freiwilligkeit
E. Literaturhinweise
Lackhner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Auflage 2023, § 24 Rn. 1 - 29
Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, 30. Auflage 2019, § 24 Rn. 67.