Entscheidung der Woche 26-2021 (ÖR)

Btissam Boulakhrif
§ 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG bot jedenfalls im von der Antragsstellerin beanstandeten Zeitraum der Coronapandemie eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für Beschränkungen des Betriebs und Schließungen von Einrichtungen durch den Verordnungsgeber.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: VerfGH Thüringen, VerfGH 18/20
in: Thüringer Verfassungsgerichtshof, 18/20, juris
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG bot jedenfalls im von der Antragsstellerin beanstandeten Zeitraum der Coronapandemie eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für Beschränkungen des Betriebs und Schließungen von Einrichtungen durch den Verordnungsgeber. Der Wesentlichkeitsgrundsatz sowie das Bestimmtheitsgebot sind gewahrt.
2. Vom Grundsatz, dass wesentliche Entscheidungen von Parlamenten und nicht durch Rechtsverordnungen getroffen werden sollten, kann in besonderen Ausnahmesituationen abgewichen werden, sofern dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht und ansonsten das Ziel der zugrunde liegenden Norm nicht verwirklicht werden könnte.
3. Zur Wahrung des Bestimmheitsgebots genügt, dass sich ihr Inhalt durch Auslegung erschließen lässt. Dabei ist das erforderliche Maß an Bestimmheit im Einzelfall zu bestimmen. Die Anforderungen diesbezüglich sind umso höher, je tiefgreifender der verfassungsrechtliche Eingriff ist, richten sich aber auch nach dem Maß der Bestimmbarkeit.
4. Sinn und Zweck des Zitiergebots, die Verständlichkeit und Kontrollierbarkeit der Delegation von Rechtssetzungkompetenz durch Verordnungsermächtigungen in ihren rechtlichen Grundlagen zu gewährleisten, wird nicht gewahrt, wenn eine Landesregierung ihre durch ein Bundesgesetz gewährte Ermächtigung zur Rechtssetzung an die Exekutive delegiert (sog. Subdelegation), jedoch dabei nicht das Zitiergebot wahrt.
5. Die Grundrechtseingriffe in die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Versammlungs- sowie der Berufsfreiheit durch Abstandsgebote, Einschränkungen von Versammlungen, Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sowie der Schließung von Einrichtungen sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
B. Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle waren drei Coronalandesverordnungen des Thüringer Gesundheitsministeriums, welche Regelungen zu Kontaktbeschränkungen und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie beinhalten. Sie beruhen auf einer Verordnungsermächtigung zugunsten der Thüringer Landesregierung gem. § 32 S. 1 IfSG, welche wiederum auf § 28 IfSG beruht.
C. Anmerkungen
Anhand des Urteils lässt sich der Prüfungsumfang des Verfassungsgerichts eines Bundeslandes gut nachvollziehen und ist v.a. im Hinblick auf die Vorlagepflicht aus Art. 100 GG auch für niedersächsische Studierende interessant. Auch sind fast ausschließlich verfassungsrechtliche Grundsätze, wie der Wesentlichkeitsgrundsatz, sowie das Bestimmtheits- und Zitiergebot, Teil der Begründetheitsprüfung.
D. In der Prüfung
Abstrakte Normenkontrolle:
A. Zulässigkeit
B. Begründetheit
1. Vereinbarkeit des §32 S.1 i.V.m. §28 Abs. 1 IfSG als taugliche Ermächtigungsgrundlage entsprechender Normen mit dem GG
a. Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs 1, 2 GG
b. Verstoß gegen das Bestimmheitsgebot, Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 S.1 GG
2. Vereinbarkeit entsprechender Normen mit der ThürVerf
a. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Verstoß gegen das Zitiergebot, Art. 44 Abs. 1 S. 2, Art. 84 Abs. 1 ThürVerf
3. Materielle Verfassungsmäßigkeit
a. Vereinbarkeit mit der ThürVerf hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips
b. Vereinbarkeit mit den Grundrechten
aa. Schutzbereich
bb. Eingriff
cc. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
(1) Schrankenbereich
(2) Schranken-Schrankenbereich
E. Zur Vertiefung
Katzenmeier, MedR 2020, 641;
Heberlein, GuP 2020, 97 ;
Dreier, DÖV 2021, 229;
Pautsch/Haug, NJ 2020, 281.