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Entscheidung der Woche 27-2023 (ÖR)

Anna-Lena Leiker

Für die Beurteilung, ob eine Grünfläche i.S.d. § 9 Abs. 2 NBauO vorliegt, ist stets eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: OVG Lüneburg, 1 LA 20/22

in: NVwZ 2023, 274

Vorinstanz: VG Hannover, Urt. v. 12.01.2022 - 4 A 1791/21

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Für die Beurteilung, ob eine Grünfläche i.S.d. § 9 Abs. 2 NBauO vorliegt, ist stets eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Dabei ist auf das Gesamtbild abzustellen; eine mathematisch-schematische Betrachtung verbietet sich.

2. Grünflächen werden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Fläche geprägt („grüner Charakter”). Dies schließt Steinelemente nicht aus, wenn sie sich dem Bewuchs dienend zu- und unterordnen.

3. Dass die nicht überbauten Flächen eines Baugrundstücks nur überwiegend Grünflächen sein müssen, ist § 9 Abs. 2 NBauO nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis widerspricht dem Wortlaut und der Intention des Gesetzgebers, die Versteinerung der Stadt auf das notwendige Ausmaß zu beschränken.


B. Sachverhalt

Die Klägerin wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung, mit der die Beklagte - die Bauaufsichtsbehörde - die Beseitigung von Kies aus zwei Beeten anordnet. Die Klägerin ist Eigentümerin eines 727m² großen Grundstücks im Stadtgebiet der Beklagten, welches sie 2005 mit einem Einfamilienhaus bebaut hat. Seitdem befinden sich entlang Grundstücksgrenze zwei insgesamt etwa 50m² große Beete. Die Beete sind mit Kies, in den Pflanzen eingesteckt sind, bedeckt. Insgesamt sind ca. 70 Pflanzen punktuell eingepflanzt. Teilweise erreichen diese eine Höhe von mehr als 2m. Südlich und westlich des Wohnhauses erstreckt sich eine Rasenfläche mit Anpflanzungen.

Nachdem die Beklagte im Dezember 2019 ein Informationsschreiben des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz zu Schottergärten erhalten hatte, überprüfte sie systematisch alle Vorgärten in ihrem Zuständigkeitsbereich. Auch die Klägerin hörte sie im Oktober 2020 an. Mit Bescheid vom 18.01.2021 ordnete die Beklagte die Entfernung des Kieses aus den Beeten an und gab der Klägerin auf, die Beete als Grünfläche i.S.v. § 9 Abs. 2 NBauO herzustellen. Nach dem erfolglosen Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage vor dem VG Hannover, welche jedoch abgewiesen wurde. Die Klägerin stellte daraufhin einen Antrag auf Zulassung der Berufung vor dem OVG Lüneburg.


C. Anmerkungen

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt. In der Sache war die Frage maßgeblich, ob der Bescheid vom 18.01.2021 rechtmäßig ist. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der erlassenen Beseitigungsanordnung ist unter anderem die materielle Illegalität, d.h. die bauliche Anlage muss dem öffentlichen Baurecht widersprechen. Bei den beiden Kiesbeeten handelt es sich um bauliche Anlagen, welche nicht den materiellen Anforderungen des öffentlichen Baurechts, hier dem § 9 Abs. 2 NBauO, entsprechen. Nach dieser Vorschrift müssen die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Grünflächen werden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche ist der „grüne Charakter"; es handelt sich um eine durch Bewuchs geprägte nichtbauliche Nutzung.

Dies schließt Steinelemente nicht aus, wenn sie nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Von einer untergeordneten Bedeutung ist auszugehen, wenn die Steinfläche dem Bewuchs sowohl in funktioneller, als auch in räumlich-gegenständlicher Hinsicht dienend zu- und untergeordnet sind. Dabei kommt es auf das Gesamtbild an. Erforderlich ist stets eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Gemessen daran handelt es sich bei den Beeten der Klägerin nicht um Grünflächen, die durch nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Kies ergänzt werden, sondern um Kiesbeete, in die punktuell Pflanzen eingepflanzt sind. Sofern die Klägerin argumentiert, dass viele und teilweise hohe Pflanzen im Beet sind, verkennt diese, dass sich eine mathematisch-schematische Betrachtung verbietet. Es ist auf das Gesamtbild abzustellen. Der Bodenoberfläche muss dabei besondere Bedeutung beigemessen werden. Die Ansicht der Klägerin, dass es entscheidend sei, ob der Garten insgesamt ein wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Insekten sei, widerspricht dem Wortlaut des § 9 Abs.2 NBauO und der Intention des Gesetzgebers, das Kleinklima und den Wasserhaushalt günstig zu beeinflussen, sowie der „Versteinerung der Stadt" entgegenzutreten. Eine Verwirkung bauaufsichtlicher Einschreitensbefugnisse kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese im öffentlichen Interesse bestehen.


D. In der Prüfung

§ 79 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 4 NBauO (Beseitigungsanordnung)

1. Ermächtigungsgrundlage: § 79 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 4 NBauO

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung

Ill. Materielle Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung

1. Tatbestandsvoraussetzungen

a. Formelle Illegalität

b. Materielle Illegalität (hier: § 9 Abs. 2 NBauO)

2. Störer

3. Rechtsfolge: Ermessen


E. Literaturhinweise

Breyer, in: Große-Suchsdorf NBauO, 10. Aufl. 2020, § 9 Rn. 11 ff.;

Vornhold, Anmerkung zu OVG Lüneburg Beschl. v. 17.01.2023 - 1 LA 20/22, NVwZ 2023, 276.

 
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