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Entscheidung der Woche 27-2025 (SR)

Monika Möller

Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein. Diese "Langwierigkeit" der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs; fehlt es hieran, ist der Tatbestand nicht vollendet. "Längere Dauer" ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – krankhaften Zustands nicht abgesehen werden kann.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az: BGH 1 StR 403/23, Beschl. v. 17.04.2024

In: BeckRS 2024, 10222

openJur 2024, 4623

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen

von längerer Dauer sein. Diese "Langwierigkeit" der schweren

Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs; fehlt es hieran, ist der

Tatbestand nicht vollendet. "Längere Dauer" ist dabei nicht mit

Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw.

nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – krankhaften

Zustands nicht abgesehen werden kann.

2. Die in den Tatplan aufgenommene Identität des Opfers

begründet lediglich ein außertatbestandliches Ziel des Täters;

erkennt dieser eine Personenverwechselung, steht dies einem

Rücktritt vom beendeten Versuch nicht entgegen.

3. Ein nach der Tätervorstellung "sinnlos gewordener" Tatplan

führt weder zum Ausschluss eines Rücktritts noch zwingend

zur Unfreiwilligkeit desselben, denn die tatbestandliche Ausgestaltung

der Rücktrittsregelung verlangt nicht, dass der Täter sich

vom ursprünglichen Ziel seiner Tat abwendet, sondern allein, dass er

die tatbestandliche Vollendung verhindert. Maßgeblich ist der sog.

Rücktrittshorizont des Täters nach Abschluss der letzten

Ausführungshandlung und nicht seine Tatplanperspektive.

B. Sachverhalt

Der Facharzt A sollte den 17-jährigen unter Autismus leidenden P

zur Behebung eines beidseitigen Leistenbruchs operieren.

Bei einem weiteren Patienten, dem G, sollte ebenfalls eine

Leistenoperation vorgenommen werden und zeitgleich eine

Sterilisation durchgeführt werden. Im Zuge der Operation des P

führte A irrtümlich eine Sterilisation durch und durchtrennte beide

Samenleiter mit dem dafür vorgesehenen Operationsbesteck, weil

er ihn mit dem G verwechselte – bei dem dieser Eingriff eigentlich

vorgesehen war. Unmittelbar nach seinem Eingriff erkannte A

seinen Fehler, informierte die Mutter und vermittelte P an einen

Spezialisten. Zwei Wochen später wurde eine sechsstündige

Operation zur Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit an P

durchgeführt, wobei unklar ist, ob diese tatsächlich erfolgreich

war.


C. Anmerkungen

Das LG verurteilte A wegen vorsätzlicher Körperverletzung in

Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung in

Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung zu einem Jahr

Freiheitsstrafe. Diese hielt der revisionsgerichtlichen Prüfung des BGH nicht stand. Zunächst habe das LG das Durchtrennen der

beiden Samenleiter des P im Ansatz zutreffend rechtlich als

beendeten Versuch einer schweren Körperverletzung gewertet.

Weil die Zeugungsfähigkeit des P zwei Wochen nach der

Sterilisation – nicht ausschließbar und damit in dubio pro reo –

wiederhergestellt wurde, fehle es nämlich an der Langwierigkeit

und damit am Eintritt der schweren Folge, womit die Tat nicht

vollendet worden sei. Der Versuch sei auch gerade nicht

fehlgeschlagen, vielmehr habe der A die Vollendung der Tat

weiterhin für möglich gehalten. Nach der Rspr. des BGH mache

auch ein error in persona die Tat nicht fehlgeschlagen, solange die

Vollendung noch verhindert werden könne. In der Literatur werde

ein Rücktritt in solchen Fällen auch überwiegend für möglich

gehalten, sofern der Täter sich um die Rettung des Opfers bemühe.

Mit dem Durchtrennen der Samenleiter habe A alles für die

Zeugungsunfähigkeit des P getan gehabt. Erst mit der Erkenntnis

des error in persona habe sich für ihn die Möglichkeit eines

Rücktritts ergeben, indem er aktiv Maßnahmen zur Verhinderung

der dauerhaften Unfruchtbarkeit ergriff. Jedoch habe das LG bei

der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts einen

unzutreffenden Maßstab angelegt. Es hätte sich hierfür am

Tatbegriff des § 24 StGB orientieren müssen, nicht am Tatplan des

A. Das neue Tatgericht müsse nun prüfen, ob der A die

Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit eigenständig veranlasst

habe oder sich durch die Tataufdeckung dazu gezwungen sah.

D. In der Prüfung

A. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, § 226 I Nr. 1 Var. 4 StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand des Grunddelikt und der Qualifikation

2. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz bzgl. des Grunddelikts und

Vorsatz bzgl. verwirklichter Qualifikationsmerkmale)

3. Erfolgsqualifikation des § 226 I Nr. 1 Var. 4 StGB (-)

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

B. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 226 I Nr. 1 Var. 4, II, 22, 23 I StGB

I. Vorprüfung (Strafbarkeit des Versuchs und Nichtvollendung)

II. Tatentschluss

III. Unmittelbares Ansetzen

IV. Rechtswidrigkeit und Schuld

V. Rücktritt

1. kein fehlgeschlagener Versuch (P)

2. unbeendeter oder beendeter Versuch

3. Verhinderung der Vollendung

4. Freiwilligkeit

E. Literaturhinweise

Wegner/Zech/Krüger/Wenglarczyk, Studienbuch Strafrecht BT I,

2024, S. 148.

Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 24 Rn. 11.


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