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Entscheidung der Woche 30-2019 (ÖR)

Rocky Glaser

Der Verantwortliche eines ursprünglich erlaubt geparkten Fahrzeugs muss die Kosten bei einem Abschleppen aus einer nachträglich eingerichteten Halteverbotszone aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erst ab einer Vorlaufzeit von mindestens drei vollen Tagen tragen, wobei eine stundenscharfe Berechnung nicht stattfindet.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerwG 3 C 25.16

in: NJW 2018, 2910

 

A. Orientierungssatz

Der Verantwortliche eines ursprünglich erlaubt geparkten Fahrzeugs muss die Kosten bei einem Abschleppen aus einer nachträglich eingerichteten Halteverbotszone aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erst ab einer Vorlaufzeit von mindestens drei vollen Tagen tragen, wobei eine stundenscharfe Berechnung nicht stattfindet.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Die Klägerin stellte ihr Fahrzeug am 19.08.2013 auf einer öffentlichen Straße ab und flog anschließend in den Urlaub. Am nächsten Tag stellten Mitarbeiter eines privaten Umzugsunternehmens auf Grundlage einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung der zuständigen Stadt zwei mobile Halteverbotsschilder auf, welche jeweils für den 23. und 24.08.2013 galten. Am 23.08.13 veranlasste ein Mitarbeiter der Stadt nach mehrmaligem erfolglosen Klingeln bei der Klägerin das Abschleppen durch ein privates Abschleppunternehmen. Die Klägerin konnte ihr Fahrzeug später gegen eine Zahlung von 176,98 Euro abholen. Durch Bescheid wurde zusätzlich eine Verwaltungsgebühr von 62 Euro erhoben. Die Klägerin klagte auf Erstattung der Abschleppkosten und Aufhebung des Gebührenbescheids. Die Klagen wurden vom zuständigen VG und OVG abgewiesen.


C. Anmerkungen

Es handelt sich um einen Fall der objektiven Klagehäufung, § 44 VwGO. Hinsichtlich der Kostenerstattung ist die allgemeine Leistungsklage und bezüglich der Aufhebung des Gebührenbescheids die Anfechtungsklage statthaft, vgl. § 88 VwGO. Materiell waren ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch und die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids zu prüfen. Während das BVerwG die Abschleppmaßnahme an sich als verhältnis-mäßig befand, beurteilte es die Kostentragung als unverhältnismäßig. Problematisch erscheint, dass es sich dem Wortlaut der maßgeblichen landesrechtlichen Norm zur Kostentragung nach um eine gebundene Entscheidung handelt (vgl. §§ 66 I NPOG, 73 I NVwVG).

Unabhängig davon stellt das Gericht auf berechtigte Interessen des Verantwortlichen sowie darauf ab, dass ein Verkehrsteilnehmer als Ausfluss aus § 1 I StVO stets mit Situationen rechnen muss, die eine kurzfristige Änderung der bestehenden Regelungen erforderlich machen. Daher ist zwar Vorsorge zu treffen, erforderlich ist aber auch eine angemessene Vorlaufzeit von Halteverboten. Das BVerwG lehnte die verbreitete Auffassung ab, dass eine Frist von 48h ausreichend sei, weil eine Änderung in der Risikosphäre des Verantwortlichen liege. Die Gründe für kurzfristige Halteverbote stammen wie hier zur Erleichterung eines Umzugs regelmäßig nicht aus dessen Verantwortungssphäre. Eine hinreichend flexible Handlungsmöglichkeit ist auch bei einer Mindestvorlaufzeit von drei Tagen gegeben, diese wurde in anderen Bundesländern bereits praktiziert und außerdem wäre die Ersatzvornahme an sich rechtmäßig. Auf die konkreten Tage kommt es nicht an, auch an Sonn- und Feiertagen kommt der Verkehr nicht zum Erliegen.

Eine stundenscharfe Protokollierung sei für einen derartigen Vorgang des täglichen Lebens nicht angemessen.


D. In der Prüfung

A.) Zulässigkeit

B.) Objektive Klagehäufung, § 44 VwGO

C.) Begründetheit

1.) Allgemeine Leistungsklage

Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch/ Rechtsgrundlosigkeit

(P) Verhältnismäßigkeit der Abschlepp-maßnahme und Kostenforderung

2.) Anfechtungsklage

Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids

(P) Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaß-nahme und Kostenforderung

Subjektive Rechtsverletzung


E. Zur Vertiefung

Folgende Besprechungen der Entscheidung: Hebeler, JA 2019, 398;

Schubert, NZV 2018, 438.

 
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