Entscheidung der Woche 30-2025 (SR)

Lilian Adams
Ein Verwertungsverbot aus § 136a Abs. 3 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO kommt nur bei Aussagen in Betracht, die der Beschuldigte in einer Vernehmung macht. Eine solche Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung liegt nur vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH, 5 StR 729/24; Beschl. v. 24.04.2025
in: openJur 2025, 12975
A. Leitsätze
Ein Verwertungsverbot aus § 136a Abs. 3 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO kommt nur bei Aussagen in Betracht, die der Beschuldigte in einer Vernehmung macht. Eine solche Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung liegt nur vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt.
B. Sachverhalt
Der Angeklagte erstach seine Ex-Freundin L. Unklar war dabei, ob Tötungsvorsatz vorlag.Kurz darauf zog sich der Angeklagte eigene Verletzungen bei einem Autounfall zu.
Im Krankenhaus erhielt er eine geringe Dosis Beruhigungsmittel sowie ein mildes Schmerzmittel. Die diensthabende Ärztin teilte den Polizeibeamten am selben Abend mit, dass der Angeklagte zwar orientiert sei, es aber den allgemeinen Grundsatz gebe, dass ein Patient mit einem Schädel-Hirn-Trauma nach einer Bewusstlosigkeit als nicht vernehmungs- und einwilligungsfähig gelte.
Die Beamten suchten daraufhin den Angeklagten auf und eröffneten ihm, dass er verdächtigt werde, L getötet zu haben. Einer der Beamten, W, belehrte ihn ordnungsgemäß als Beschuldigten, teilte ihm aber mit, dass angesichts seines Gesundheitszustands von einer Vernehmung abgesehen werde und lediglich Maßnahmen der Spurensicherung und eine rechtsmedizinische Untersuchung durchgeführt würden.
Der Angeklagte erklärte, die Belehrungen verstanden zu haben. Auf Nachfrage teilte er mit, dass er grundsätzlich an der Aufklärung mitwirken und Angaben machen wolle. Im Laufe der Spurensicherung und der rechtsmedizinischen Untersuchung machte der Angeklagte ungefragt Angaben zum Tatgeschehen und zum Sachverhalt.
In der Hauptverhandlung wurde W als Zeuge vernommen. Ihm wurden Fragen zu den Angaben des Angeklagten gestellt, die dieser im Krankenhaus gemacht hatte.
C. Anmerkungen
Fraglich ist, ob die Angaben des Beschuldigten dem Beweisverwertungsverbot des § 136a StPO unterfielen.
Es wird ausgeführt, dass ein Verwertungsverbot aus § 136a Abs. 3 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO bereits deshalb nicht greift, weil die Vorschrift aufgrund ihres Rechtscharakters als Norm des Strafverfahrensrechts nur Aussagen erfasst, die der Beschuldigte während einer Vernehmung tätigt.
Eine solche Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung liegt nur vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt.
Der Polizeibeamte W hat den Angeklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er ihn mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand nicht vernehmen werde. Die in Rede stehenden Aussagen hat der Angeklagte dementsprechend im Rahmen der Spurensicherung und der rechtsmedizinischen Untersuchung „ungefragt“ getätigt.
Zudem folgt ein Beweisverwertungsverbot auch nicht aus dem Gebot der Selbstbelastungsfreiheit. Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bedeutet, dass in einem Strafverfahren niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Unter diesem Gesichtspunkt kann ein Verwertungsverbot für Aussagen gegeben sein, die der Beschuldigte in einer vernehmungsähnlichen Situation macht. Vernehmungsähnliche Situationen sind indes dadurch gekennzeichnet, dass die Strafverfolgungsbehörden private oder verdeckt ermittelnde Personen veranlassen, den Beschuldigten gegen seinen Willen zu einer Selbstbelastung zu drängen und Äußerungen zum Tatgeschehen zu entlocken. Eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit kommt in diesen Fällen insbesondere dann in Betracht, wenn der Beschuldigte sich zuvor auf sein Schweigerecht berufen hat und die Ermittlungsbehörden durch das heimliche oder täuschende Ausfragen versuchen, dem Beschuldigten Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht erlangen konnten.
Hiermit ist der entscheidende Fall nicht zu vergleichen.
Insbesondere hatte der Beschuldigte sich nicht auf sein Schweigerecht berufen.
Weder macht die Eröffnung des Tatvorwurfs mit Belehrung die „Gesamtsituation“ zu einer (unzulässigen) heimlichen oder täuschenden Befragung zur Umgehung des Schweigerechts noch kann von einem Zwang die Rede sein, gegen sich selbst auszusagen. Bei den in Rede stehenden Angaben, die der Angeklagte ungefragt gemacht hat, handelte es sich vielmehr um Spontanäußerungen, die uneingeschränkt der Verwertung unterliegen.
D. Literaturhinweise
Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung/Diemer, 9. Auflage 2023, §136a StPO, Rn. 6.
